Zunehmend müssen berechtigte Ansprüche aus einem Unfallereignis auch dann eingeklagt werden, wenn die Verteilung des Verschuldens, richtiger formuliert der Verursachung (denn es geht im Zivilverfahren ja nicht um „Schuld“ im Sinne von Bestrafung) eindeutig zu sein schein. Eine besonders häufige Unfallsituation ist dabei: Ein Autofahrer öffnet zum Aussteigen die Tür und es kommt zu einer Kollision mit einem vorbei fahrenden Fahrzeug. Fraglich ist, wer von beiden in welchem Umfang haftet.
Das LG Saarbrücken hatte am 17.4.14 einen solchen Fall zum Aktenzeichen 13 S 4/14 in einem Berufungsverfahren zu entscheiden. Wieder einmal wollte die Versicherung außergerichtlich keine Zahlungen leisten und musste daher verklagt werden.Folgender Kernsatz findet sich in dem Urteil: Der Vorbeifahrende muss auch ein weites Öffnen der Tür in Betracht ziehen und seinen Seitenabstand entsprechend wählen, wenn er an einem Baustellenfahrzeug vorbei fährt, das mit Warneinrichtungen (hier: Warnblinklicht) versehen ist.
Zunächst hat das Gericht die Auffassung des Amtsgerichtes bestätigt, dass eine Anspruchsquotelung vorzunehmen ist, somit nicht einer für die Schäden alleine haftet. Der Grund: Es handelt sich nicht um ein unabwendbares Ereignis (§ 17 III StVG) und keiner von beiden kann sich auf höhere Gewalt berufen. Für diese Fälle sehen die §§ 7 I, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG grundsätzlich vor, dass die sogenannte Betriebsgefahr beider Fahrzeuge dafür sorgt, dass beide Beteiligte für die Schäden einzustehen haben.
Weiterhin hat das Gericht bei der Abwägung der Verschuldensanteile zulasten des Aussteigenden angenommen, dass dieser gegen § 14 I StVO verstoßen hat. Hiernach muss sich derjenige Verkehrsteilnehmer, der ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen wird. Hierbei trifft den Ein- oder Aussteigenden eine hohe Sorgfaltspflicht. Diese gebietet es, dass die Fahrzeugtür erst dann geöffnet werden darf, wenn sich der Verkehrsteilnehmer durch Beobachtung nach hinten vergewissert hat, dass sich kein anderes Fahrzeug von hinten nähert. Diese hohe Anforderung hatte bereits der BGH zum A.Z. VI ZR 316/08 in seinem Urteil vom 6.10.09 und auch das Kammergericht in Berlin (DAR 2004, S.585) formuliert. Hierbei ist es nach Auffassung des LG Saarbrücken gleichgültig, ob die Fahrertür von innen geöffnet wird um auszusteigen, oder von außen, um z.B etwas aus dem Fahrzeug heraus zu holen. In beiden Fällen ist § 14 I StVO anzuwenden. Da jedoch die eingeschaltete Warneinrichtung die herannahenden Verkehrsteilnehmer insofern warnen musste, dass auch ein plötzliches, weites Öffnen konkret im Bereich des Möglichen ist, war im vorliegenden Fall der Anscheinsbeweis, dass der gegen § 14 StVO verstoßende die volle Verursachung trifft, widerlegt. Die Folge: hälftige Haftungsteilung.
Autor: Dr. Hartmann, Fachanwalt für Straf- und Verkehrsrecht