Der vierte Prozesstag im 49-Millionen-Coup: Aussage des Kronzeugen? Fehlanzeige. Das Taktieren beginnt
Am vierten Prozesstag, 06.11.23, öffnete sich pünktlich um 9:30 Uhr die Tür des Sicherheitssaals des Moabiter Kriminalgerichts. Heute soll der Kronzeuge Thomas S. aussagen. Anders als bei den vorigen Verhandlungstagen war der Saal in einem dafür bestimmten Bereich schon sehr gut gefüllt mit Vertretern der Presse. Und auch zusätzliche Sicherheitsmitarbeiter saßen beim Kronzeugen.
Gleich zu Beginn der Verhandlung forderte einer der Verteidiger, Anträge zu stellen. Der Richter stimmte dem zu, wollte aber zuvor erwähnen, dass dem Verteidiger ein beim Beschuldigten aufgefundenes Smartphone ausgehändigt wird. Wir erinnern uns: die Beschuldigten (bis auf den Kronzeugen) befinden sich derzeit in Untersuchungshaft.
Nun verlas der Rechtsanwalt seinen Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung mit der Begründung, dass der zugesandten Ermittlungsakte Daten fehlen würden. Vor allem geht es darum, dass nach Eröffnung der Hauptverhandlung Nachträge erfolgt sind, wie zum Beispiel ein zweites Brandgutachten. Auch bemängelte der Verteidiger, dass es Tausende Telefon- und Textnachrichten gibt, diese aber nicht vollständig in der Akte zu finden seien. Außerdem seien die Ermittlungen ja wohl abgeschlossen, sodass es gemäß der Strafprozessordnung nicht ständig neue Aktennachträge geben dürfe.
Der Staatsanwalt konterte, dass die Ermittlungen nicht mit der Anklageerhebung enden würden und er sehr wohl auch weiterhin neue Erkenntnisse der Akte zugeführt würden. Der Richter äußerte sich nun dazu und erklärte, dass das Landeskriminalamt bereits alle relevanten Daten übermittelt habe. Der Verteidiger antwortete, dass er stark bezweifelt, dass das LKA wisse, welche Daten für die Verteidiger relevant seien. Er forderte mit Blick auf den Staatsanwalt, dass eine dienstliche Erklärung über den Verbleib der fehlenden Aktenbestandteile vorgenommen wird. Es entwickelte sich unter Bezugnahme auf verschiedene Paragraphen ein regelrechter Schlagabtausch zwischen Verteidigern, Richter und Staatsanwalt.
In Juristenkreisen nennt man dieses Vorgehen auch „Konfliktverteidigung“. Dabei verfolgen die Verteidiger der Beschuldigten das Ziel, durch das oftmals gereizte Auftreten und das ständige Stellen von (teilweise unnötigen) Anträgen, das Gericht mit Arbeit zu überlasten und verhandlungsmüde zu machen. Dadurch kommt es zu erheblichen Verzögerungen des Verfahrens, was wiederum die Bereitschaft des Gerichts, sich auf Deals einzulassen, erhöht.
Nach einer 20minütigen Unterbrechung teilte der Richter nun mit, dass die Verhandlung bis zum 13.11.23 unterbrochen wird. Weiter bat er den Staatsanwalt, sich eine Aufstellung über alle noch offenen Ermittlungshandlungen durch das LKA zukommen zu lassen und vorzulegen.
Am 13.11.23 wird die Verhandlung fortgesetzt. Wir dürfen gespannt sein, welches Ass die Verteidiger der Beschuldigten dann aus dem Ärmel zaubern. Wir werden dabei sein und berichten, versprochen.