EU-Führerschein und Wohnsitz

Immer wieder ist im Zusammenhang mit der Gültigkeit eines ausländischen EU-Führerscheins in Deutschland die Rede von dem sogenannten Wohnsitzerfordernis. Viel ist zu lesen über die angeblich bestehende 185-Tage Regelung und davon, dass die Gültigkeit des Führerscheins in Deutschland von deren Einhaltung abhängt.

 

Hierbei wird oft vergessen, dass die deutschen Behörden und Gerichte laut Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes davon auszugehen haben, dass der Ausstellerstaat (z. B. Polen) die Einhaltung des Wohnsitzerfordernis bei Ausstellung des Führerscheins überprüft hat. Alles andere müsste die (deutsche) Staatsanwaltschaft bzw. Führerscheinstelle beweisen. Es ist also nicht so, dass der Autofahrer, der im Besitz einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis ist, hier irgendetwas darlegen müsste.

 

Vielmehr gilt grundsätzlich:

Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag der Ausstellung die dafür maßgeblichen Voraussetzungen erfüllte (vgl. u.a. OVG NRW, Urt. v. 17.1.14 – 16 A 1292/10)

 

Der 185-Tage-Regelung kommt somit nur insofern Bedeutung zu, als der Ausstellerstaat diesbezügliche Überprüfungen vorzunehmen hat, und zwar bevor die Fahrerlaubnis erteilt wird. Die anderen Mitgliedsstaaten sind sodann nicht befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen (vgl. Urteil des EuGH vom 29.4.04, C-476.01 – Rs. Kapper-, DAR 2004, 333 ff.)

 

 Ausnahme: Der Wohnsitzverstoß ist nachgewiesen

Es ist Sache der Staatsanwaltschaft / Verwaltungsbehörde, einen Wohnsitzverstoß nachzuweisen. Nochmals: gelingt dies nicht, ist die Fahrerlaubnis aufgrund der Vermutung, dass die Führerscheinstelle des EU-Mitgliedsstaates bei der Ausstellung der Fahrerlaubnis überprüft hat, als gültig anzusehen.

 

Hierbei ist zu beachten, dass ein einmal erwiesener Wohnsitzverstoß sich „fortpflanzt“. Das heißt, dass bei Vorliegen eines Verstoßes beim Erwerb der FE-Klasse „B“ ein Umtausch in die Klasse „C“ auch letzteren Führerschein ungültig macht (EuGH Rs Köppl, NZV 2012, 501). Gleiches gilt bei Umtausch eines im einen EU-Mitgliedsstaates unter Wohnsitzverstoß erworbenen Führerscheins, wenn ein anderer Mitgliedsstaat bei dem Umtausch nicht die Fahreignung überprüft hat (vgl. u.a. BayVGH, Beschl. v. 24.11.14 – 11 ZB 14.1193).

 

Man sieht auch hieran wieder, dass es immer auf die Überprüfung der Erteilungsvoraussetzungen beim Erwerb ankommt.

 

Nachweis durch das Dokument oder durch Angaben aus dem Ausstellerstaat

Wenn eine Mitteilung des Ausstellermitgliedsstaates vorliegt, nach der sich der deutsche Staatsangehörige im zeitlichen Zusammenhang mit der Erlangung der Fahrerlaubnis nicht mindestens 185 Tage im Ausstellermitgliedsstaat aufgehalten hat, muss die Fahrerlaubnis nicht anerkannt werden. Grundsätzlich muss sich der Verstoß entweder aus dem Führerschein selbst ergeben, oder – viel relevanter – aus

 

„anderen, vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden, unbestreitbaren Informationen“.

 

Hintergrund dieser eingeschränkten Definition ist wohl, dass der EuGH eine Ausnahme vom gegenseitigen Anerkennungsgrundsatz nur dann machen will, wenn der Ausstellermitgliedsstaat selbst „einräumt“, bei der Ausstellung des Führerscheins die Wohnsitzvoraussetzung nicht beachtet zu haben (vgl. Koehl, NZV 2015, 9), hierzu sogleich mehr.

 

Insbesondere in älteren EU-Fahrerlaubnissen findet sich mitunter bei dem Punkt „Wohnsitzangabe“ der Herkunftsort des Mandanten („Wohnsitz: Oranienburg“). Dies ist der klassische Fall eines erwiesenen Wohnsitzverstoßes auf Grundlage von Angaben aus dem Dokument selber. Die EU-Fahrerlaubnis ist in dieser Form nicht in Deutschland gültig. Inzwischen werden diese „Fehler“ aber nicht mehr gemacht.

 

Weitere vom Ausstellerstaat herrührende Informationen sind Auskünfte des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.8.11 – 11 CS 13.2166, NJW 2014, 1547) sowie aller Behörden des Ausstellerstaates. Aber der EuGH hat u.a. in dem Beschluss vom 09.07.2009 (Aktenzeichen: C-445/08 [Kurt Wierer]) weiter gehend klargestellt:

 

Die Erkenntnisquellen, aufgrund derer die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abgelehnt werden darf, sind in dem Beschluss vom 26.06.2008 (Wiedemann u. Funk) abschließend aufgezählt: „vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen.“ Deshalb darf die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses weder aus eigenen Erklärungen des Erlaubnisinhabers im Verwaltungsverfahren geschlussfolgert werden, noch aus einer Erklärung des Ausstellermitgliedstaats, wonach der Wohnsitz bei Ausstellung des Führerscheins nicht geprüft worden ist.

 

Wichtig ist zum einen der in dieser Entscheidung ausdrücklich benannte Aspekt, dass eigene Angaben des Führerscheininhabers gegenüber Behörden oder Gerichten nicht verwertet werden dürfen, selbst wenn darin ein Wohnsitzverstoß eingeräumt wird (vgl. auch u.a. Hentschel/König/Dauer, § 28 FeV RN 28). Oftmals wollen Polizeibeamte noch an der Anhaltestelle ein entsprechendes „Geständnis“ von dem Betroffenen hören und bekommen dies auch.

 

Wenn aber, wie in dem Fall OVG NRW, Urt. v. 17.1.14 – 16 A 1292 /10, die ausländische Behörde bestätigt, dass der Betroffene vor dem Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis weniger als 185 Tage dort gemeldet war (hier waren es 91 Tage durch Wohnsitzmeldung dokumentierte Aufenthaltsdauer), kann das nationale Gericht von unbestreitbaren Informationen zum Nachweis eines Wohnsitzverstoßes ausgehen (vgl. auch EuGH, Urt. v. 1.3.12 – C-467/10 (Akyüz = NJW 2012, S. 1341).

 

Ausreichen soll für die „unbestreitbare Information aus dem Ausstellerstaat“ z.B. die Nachschau der Polizei des Ausstellermitgliedstaat an der angegebenen Adresse sein, wenn sich ergibt, dass dort deutlich mehr Personen gemeldet sind, als tatsächlich untergebracht werden können (BayVGH, Urt. v. 20.2.14, 11 BV 18.1189), oder wenn es sich bei dieser Adresse um ein Motel handelt (VG Augsburg, Beschl. v. 24.4.14, Au 7 S 14 456). Als Herkunftsquelle reicht aus, dass die entsprechende Information aus dem gemeinsamen Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit stammt und diese wiederum bei den Behörden des Ausstellerstaates ermittelt hatte (u.a BVerwG DAR 2013, 594).

 

Auch kann die deutsche Behörde / das deutsche Gericht seine Vertretung im Ausstellermitgliedsstaat einschalten, um an die entsprechenden Informationen zu kommen (vgl. EuGH vom 1.3.12, Rs C-467/10 NJW 2012, 1341). Ein wichtiges Detail an dieser Stelle: eine als eMail übermittelte Auskunft ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 371a II S.1, 416a ZPO zur Beweisführung geeignet. Das heißt, dass ein Ausdruck der eMail die Vermutung der Echtheit nur in sich trägt, wenn das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 2 Nr.3 SignG) versehen ist (OVG Saarland, Urteil v. 8.5.12 – 1 A 235/11).

 

Nachweis durch andere (ergänzende) Ermittlungen

Grundsätzlich ist mit dem Vorgenannten die Informationsbreite für einen berücksichtigungsfähigen Wohnsitzverstoß abschließend erörtert. Aber es können auch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft / Verwaltungsbehörde einen Wohnsitzverstoß belegen, sofern diese zuvor aufgrund von Informationserteilung aus dem Ausstellerstaat Berechtigung erlangt haben. An dieser Stelle ist verfeinernd zu definieren: Die vom Ausstellerstaat stammenden Informationen stellen nach der Rechtsprechung zulässigerweise den Rahmen dar, innerhalb dessen die erkennenden Stellen alle Umstände des konkreten Falles berücksichtigen dürfen (vgl. EuGH, Urt. v. 1.3.12 – C-467/10 (Baris Akyüz), NJW 2012, 1341; OVG Rh-Pfl., Beschl. v. 15.1.16 – 10 B 11099/15; BayVGH, Beschl v. 15.9.15 – 11 ZB 15, 1077).

 

Einzelfälle:

So hat in einem vom OVG Lüneburg (Beschl. v. 10.03.2016, 12 ME 22/16) entschiedenen Fall die Polizei in dem Ausstellerstaat (hier: Tschechien) auf Hilfeersuchen des Gerichts an dem (angeblichen) Wohnsitz Nachforschungen angestellt und sodann berichtet:

„Durch die Einvernahme der Mieterin im ersten Stock, Frau … [es folgen Name, Vorname, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit der Zeugin] wurde in Erfahrung gebracht, dass im Haus nur Mietwohnungen sind und dort nur tschechisch sprechende Personen wohnen … Deutsch sprechende Personen hat sie dort noch nie gesehen.“

Diese Tatsachenfeststellung – in Form des Polizeiberichtes – ist nach Auffassung des OVG Lüneburg als unbestreitbare Information des Ausstellermitgliedstaates zu betrachten, die der Annahme eines ordentlichen Wohnsitzes des Antragstellers in der Tschechischen Republik zum Zeitpunkt der Erteilung seiner tschechischen EU-Fahrerlaubnis entgegensteht, weil der Betroffene sich hierzu nicht weiter erklären wollte. Eine äußerst fragwürdige Sichtweise, geht doch die Information letztlich auf die Aussage der (i. Zw. wahllos herausgegriffenen) Mieterin vor Ort zurück.

Ähnlich lag der vom VGH München mit Beschluss vom 11.07.2016 (A.Z. 11 CS 16.1084 – wieder Tschechien!) entschiedene Fall:

“ Es ist vor Ort festgestellt worden, dass unter der tschechischen Meldeadresse „CZ – 418 01 B., K. Nr. …“ neun deutsche Staatsangehörige, darunter auch der Antragsteller, einen vorübergehenden Aufenthalt angemeldet hätten. Sämtliche Personen hätten mit Sitz an dieser Adresse ein Unternehmen (Groß- und Einzelhandel) gegründet. Das um weitere Ermittlungen gebetene Gemeinsame Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit hat sodann mitgeteilt, unter der angegebenen Adresse seien 36 weitere deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz gemeldet. Nach Angaben der Distriktabteilung der Polizei in B. handele es sich bei der Meldeadresse um ein Reihenhaus ohne Türglocke und Briefkasten. Das Anwesen sei zu einer Pension umgewandelt worden; es deute aber nichts darauf hin, dass sich diese derzeit im Betrieb befinde. Bei einer Überprüfung des Anwesens durch die örtliche Polizei sei niemand angetroffen worden.“

In dieser Konstellation kann das Gericht dann, wenn es Informationen aus dem Ausstellerstaat hat, die Zweifel auslösen (wie zuletzt der zuvor zitierte VGH München) auch das Verhalten und Vorbringen des Betroffenen berücksichtigen:

„Wenn ein Beteiligter sich nicht klar und eindeutig zu Gegebenheiten äußert, die seine eigene Lebenssphäre betreffen und über die er deshalb besser als der Verfahrensgegner Bescheid wissen muss, darf ein Gericht ein solches Erklärungsverhalten bei seiner Entscheidung berücksichtigen (vgl. auch BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634 – juris Rn. 20).“

Immer häufiger wird in der Rechtsprechung in letzter Zeit der bereits genannte Grundsatz betont, dass die Frage eines Wohnsitzverstoßes aufgrund einer Gesamtschau zu beurteilen ist, bei der die von dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen nur den „Rahmen“ bildet (s.o.), innerhalb dessen alle Umstände des anhängigen Rechtsstreits berücksichtigt werden dürfen. In einer hierzu passenden Entscheidung des niedersächsischen OVG (Beschluss vom 29.3.2016, A. Z. 12 ME 32/16) hatte die (wieder: tschechische) Behörde die Mitteilung gemacht, der Betroffene habe zwar in der tschechischen Republik einen Wohnsitz gehabt, es sei jedoch von dortiger Seite nicht bekannt, wo genau dieser Wohnsitz genommen worden sei. Es sei nur ein Wohnsitz „in der tschechischen Republik“, nicht aber ein solcher unter einer bestimmten dortigen Adresse genommen worden. Dies reichte dem niedersächsischen OVG aus, um im Rahmen der besagten „Gesamtschau“ (bei der dann auch die Tatsache eine Rolle spielte, dass der Betroffene in deutschen Inland seinen Wohnsitz behalten hatte) von einem Wohnsitzverstoß auszugehen.

 

Noch weiter wurde die Grenze eines tauglichen „Hinweises“ dann vom OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss v. 15.1.16, A.Z.: 10 B 11099/15) gezogen. Hier kam von der polnischen Meldebehörde die Information, dass der Antragsteller nach ihren Informationen zwar dort seinen gewöhnlichen Wohnsitz („normal residence“) hatte, über weitere Angaben verfüge die Behörde aber nicht („unknown“). Mit einer äußerst fragwürdigen und – hoffentlich demnächst aufgehobenen – Begründung kommt dann das Gericht zu einem M.E. nicht vertretbaren Ergebnis:

Zwar kann der Umstand, dass den Behörden etwaige familiäre, berufliche, geschäftliche oder sonstige Verbindungen des Betroffenen nicht bekannt sind, als solcher nicht zu seinen Lasten gehen …. dies ändert aber nichts daran, dass Informationen ausschließlich auf einer melderechtlichen Grundlage geeignet sein können, auf einen Wohnsitzverstoß „hinzuweisen“.

Sodann kommt das OVG Rheinland-Pfalz sofort auf den Umstand, dass der Antragsteller auch im deutschen Inland gemeldet war, zu sprechen. Dies hat aber nach dem zuvor gesagten nur dann Belang, wenn eine auf einen Wohnsitzverstoß hinweisende Informationserteilung aus dem Ausstellerstaat den „Rahmen“ für eine solche Gesamtwürdigung eröffnet. Da dies vorliegend gerade nicht der Fall war, ist die Entscheidung aus meiner Sicht zwingend aufzuheben.

Man sieht an all den zuvor zitierten Entscheidungen: wenn irgendeine Rückäußerung aus dem Ausstellerstaat kommt, die sich als Auslegungsfähig in Richtung eines Wohnsitzverstoßes darstellt, sind die Gerichte geneigt, den Verstoß zu bejahen.

Nochmals: all das gilt aber nur, wenn die ausländische Behörde im ersten Schritt tatsächlich Informationen geliefert haben, die gegen die Wohnsitznahme sprechen bzw. sich in dieser Richtung auslegen lassen. Die ausländische Behörde muss somit zu einem gewissen Grad eingeräumt haben, „dass im eigenen Land geschummelt wurde“. Dies ist derzeit nur aus Tschechien und neuerdings in Einzelfällen aus Polen bekannt. Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden. Die Rede ist (unbestätigten Gerüchten zufolge) von Androhung von Mittelkürzung von Deutscher Seite.