Geschwindigkeit und Beweis

Heute etwas Neues zum Thema Geschwindigkeit und Beweis. Und zwar gemünzt auf einen zivilrechtlichen Streit, also die Frage von Ansprüchen aus einem Verkehrsunfall.

Im Zivilprozess ist die Schätzung der Geschwindigkeit eine sehr unzuverlässige Methode. Ich habe es immer wieder erlebt, dass vor Gericht durch Angaben von Zeugen, wonach das Fahrzeug eine bestimmte Geschwindigkeit gefahren sein soll, der Beweis für einen Verstoß geführt werden soll. Diese Angaben von Zeugen stellen jedoch regelmäßig nur eine grobe Schätzung dar, die ohne konkrete Anhaltspunkte einer Beurteilung nicht zu Grunde gelegt werden kann (vgl. u.a. KG, Beschluss vom 8.1.2010, Aktenzeichen 12 U 40/09).

Der Grund hierfür ist, dass Fehlschätzungen bei Geschwindigkeiten sehr nahe liegen. Die Angaben sind daher regelmäßig von den Richtern genau zu prüfen.

Sie wollen es genauer wissen? Die Schätzung von einem PKW-Beifahrer etwa hat, auf ein anderes Fahrzeug bezogene Geschwindigkeit, wegen der grundsätzlichen Schwierigkeiten zutreffender Schätzungen keinen eigentlichen Beweiswert. Auch der Geschwindigkeitsschätzung eines Zeugen, der Berufskraftfahrer ist, kommt wenig Beweiskraft zu. Dies insbesondere, wenn die Beobachtung aus einer ungünstigen Position heraus getätigt wurde. Paradebeispiel ist hier die Wahrnehmung eines von hinten herannahenden Fahrzeugs im Außenspiegel. Diese ist per se nicht geeignet, um eine hinreichende Gewissheit für die Geschwindigkeitshöhe des Fahrzeuges zu finden (§ 286 ZPO).

Im Zivilverfahren ist jedoch zu beachten, dass es – anders als im Strafverfahren – keine ausdrückliche Regelung für die Ablehnung von Beweisanträgen gibt. Und, wie gesagt, es versuchen sich auch Anwälte immer wieder mit dem Beweismittel „Zeuge für die gefahrene Geschwindigkeit“. Es kommt aber die Ablehnung eines solchen Antrages als ungeeignetes Beweismittel in Betracht. Dies ist schon entschieden worden, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse kann. Es handelt sich dann um eine Analogie zu § 244 StPO.


Es empfiehlt sich daher, im Zivilprozess stets die Geschwindigkeit und die Unfallursächlichkeit der behauptete Geschwindigkeitsüberschreitung unter Sachverständigenbeweis stellen. Unfallanalytiker können aus den Schadensbildern dem sogenannten EES-Wert die Kollisionsgeschwindigkeit ermitteln. Die Ausgangsgeschwindigkeit kann anhand einer vorhandenen Bremsspur berechnet werden.

Wohlgemerkt und zur Vermeidung von Missverständnissen: Die vorliegenden Ausführungen beziehen sich auf den Zivilprozess. Soll in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren eine Verurteilung wegen überhöhter Geschwindigkeit erfolgen, sind Angaben von Zeugen eh ungeeignet. Hier muss einem beweissichere Messung vorliegen. Immer wieder versuchen Polizeibeamte, im Wege einer Schätzung und unter Hinweis auf ihre „große Erfahrung“, den Vorwurf des Geschwindigkeitsverstoßes zu erheben. Dies ist jedoch regelmäßig zum Scheitern verurteilt. In einem solchen Fall erfolgt mit Sicherheit ein Freispruch.

Noch eine Anmerkung: Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird zunehmend die Beweiserleichterung durch sogenannte Dashcams an Bedeutung gewinnen. Die aus meiner Sicht begrüßenswerte Tendenz in der Rechtsprechung, Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel zuzulassen, wird – zum Glück – in vielen Fällen eine solche Schätzung der Geschwindigkeit überflüssig machen. Zur Not kann dann auf Grundlage der Aufnahmen ein Sachverständiger die gefahrende Geschwindigkeit konkret ermitteln.

Sie sehen aber auch an diesem Beispiel wieder einmal: Sie sollten sich nicht alles gefallen lassen. Denken Sie daran: bei Eingreifen einer Verkehrsrechtsschutzversicherung ist die Vertretung durch den Rechtsanwalt für Sie kostenlos.