Beweislast bei Verletzung nach Unfall

Bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall muss der Kläger – wie immer, wenn er etwas verlangt – den Beweis antreten für die erlittenen Verletzungen.

Dies kann durchaus schwierig sein. Denn anders als bei einem reinen Sachschaden, bei dem nur die Reparaturkosten dargelegt werden müssen (für die zur Not ein Sachverständiger eingeschaltet werden kann) ist im Bereich von erlittenen Verletzungen die Beweislage komplizierter. Es reicht eben nicht aus, zu behaupten, dass man „ganz schön schmerzhafte Verletzungen“ erlitten hat. Hier ist ein genaueres Befassen mit den Beweislastregeln der Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlich.

Folgender Grundsatz: der Geschädigte muss den sogenannten Strengbeweis (§ 286 ZPO) dafür erbringen, dass er bei dem im Streit stehenden Unfall überhaupt verletzt worden ist. Dies wird Primärverletzung genannt. Die Vorschrift des § 286 ZPO besagt, dass für die Tatsachen, die dem sogenannten Strengbeweis unterfallen, der Richter von der Wahrheit einer Behauptung nach einem sehr hohen Überzeugunggsrad überzeugt ist. Hierfür wird zwar keine absolute Gewissheit verlangt, auch eine „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ist nicht erforderlich (BGH VersR 1977,721; 1989,758,759). Es muss aber der Richter mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugt sein, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245, 256). Dies ist ein recht hoher Maßstab, er gilt jedoch wie gesagt nur für die sogenannte Primärverletzung, d.h. für die Tatsache, dass der Anspruchsteller überhaupt verletzt worden ist.

Etwas „einfacher“ wird es dann bei der Frage, ob und in welchem Umfang der Kläger einen Folgeschaden oder einen Dauerschaden erlitten hat. Hier greift die sogenannte Beweiserleichterung des § 287 ZPO. § 287 ZPO verlangt im Gegensatz zu § 286 ZPO einen wesentlich geringeren Grad der richterlichen Überzeugungsbildung. Hier kann sich der Richter mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGH VersR 1972,834; OLG München NJW 2011,396). Die bloße zeitliche Nähe zwischen einem Unfallereignis und dem Auftreten der Beschwerden reicht hierfür zwar nicht aus. Zum Teil wird lediglich darauf abgestellt, ob eine erhebliche Wahrscheinlichkeit vorliegt. Diese Auffassung nimmt der BGH in der Entscheidung VersR 1991,437,438 ein. Hierbei kann der Richter über die Höhe des Schadens und dessen Umfang frei entscheiden (sogenannte haftungsausfüllende Kausalität, vgl. BGH NJW 2008, 1381; 1993, 3073, 3076; 1987,705,706) ist also streitig, ob eine Verletzungsfolge auf den bewiesenen unstreitigen Unfall zurückzuführen ist und ist eine Primärverletzung nachgewiesen, so greift insoweit die Beweiserleichterung des § 287 ZPO ein.

Insbesondere bei Verletzungen der Halswirbelsäule (sogenanntes HWS-Syndrom) wird das Zusammenspiel zwischen § 286 und § 287 ZPO besonders deutlich. Für das Vorliegen der Primärverletzung, also der behaupteten Verletzung der Halswirbelsäule, muss der Geschädigte den Vollbeweis nach § 286 ZPO erbringen. Für den Folgeschaden gilt dann § 287 ZPO. Es genügt an dieser Stelle also die hinreichende oder überwiegende Wahrscheinlichkeit. Hier ist insbesondere darauf zu achten, dass die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO den Geschädigten nicht dadurch genommen werden dürfen, dass im Rahmen der Beweiserhebung medizinische Sachverständige einen strengeren Beweismaßstab anlegen. Eine Wahrscheinlichkeit, die auch medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien standhält ist nicht Voraussetzung für den Nachweis der haftungsausfüllende Kausalität (unter anderem OLG Hamm, NZV 1994,189). Auch die (sozialrechtliche) Kausalitätslehre von der richtungsweisenden Verschlimmerung gilt hier nicht (vgl. BGH NJW – RR 2005,897).

Mit anderen Worten, für die Kausalität (also die Ursächlichkeit des Unfalls für die Beschwerden) kommt es allein darauf an, ob es dem Geschädigten auch ohne den Unfall mit erheblicher Wahrscheinlichkeit besser ginge.

Wenn diese Maßgaben beachtet werden, kann ein Unfallgeschädigter auch erfolgreich seine vollen Schmerzensgeldansprüche durchsetzen. Sie sollten dabei unbedingt die Hilfe eines erfahrenen Rechtsanwaltes (Fachanwalt für Verkehrsrecht) in Anspruch nehmen.