Häufig kommt es zum Streit darüber, ob bei einem Unfall unter Alkohol gleichwohl eine Verpflichtung der Versicherung gibt, zu zahlen. Dies kann im Bereich der Kaskoversicherung auftreten, bei der Frage des Regresses nach Eintreten der Kfz-Haftpflichtversicherung, aber eben auch im Anwendungsbereicht der Unfallversicherung.
Ein interessantes Urteil aus dem Bereich der Unfallversicherung hat das OLG Saarbrücken am 1.2.2017 gefällt (Aktenzeichen 5 U 45/16). Der Kläger hatte im Mai 2014 einen schweren Verkehrsunfall. Er fuhr im Bereich einer Anschlussstelle auf der linken Spur der Bundesautobahn auf ein anderes Fahrzeug auf, das kurz zuvor die Fahrbahn gewechselt hatte. Er und seine beiden Mitfahrer hatten zuvor Alkohol getrunken. Die Blutalkoholkonzentration (BAK) betrug bei dem Fahrer 1,18 Promille. Wegen dieser Trunkenheitsfahrt wurde der Kläger auch zuvor von dem Amtsgericht wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs – strafrechtlich – zu einer Geldstrafe verurteilt. Das klägerische Fahrzeug war vor der Kollision mit einer um ca. 50 km/h überhöhten Geschwindigkeit unterwegs.
Gleichwohl begehrte der Kläger in dem hier besprochenen Rechtsstreit die Feststellung der Leistungspflicht seiner Unfallversicherung aus dem Unfallversicherungsvertrag. Im Hinblick auf die erhebliche Alkoholisierung des Klägers zum Unfallzeitpunkt und einen hierauf bezogenen Risikoausschluss in den Versicherungsbedingungen der Unfallversicherung ist diese Leistungspflicht streitig gewesen.
Wie das OLG nun aber bestätigte, ist die Klageabweisung durch das Landgericht gerechtfertigt gewesen. Die Voraussetzungen des Risikoausschlusses (Ziffer 5.1.1 AUB – Allgemeine Bedingungen für die Unfallversicherung) seien vorliegend erfüllt gewesen. Danach sind Unfälle durch Geistes-oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, beim Lenken von Kfz vom Versicherungsschutz ausgenommen. Der Ausschluss erfasst Risiken, die über das normale Unfallrisiko hinausgehen, weil der Versicherte bei den genannten Zuständen nicht in der Lage ist, eine drohende Unfallgefahr klar zu erkennen oder überhaupt wahrzunehmen und sich zur Vermeidung des Unfalls entsprechend richtig zu verhalten. Für diese erhöhten Risiken will der Unfallversicherer nicht eintreten.
So weit, so klar. Jedoch schließt die Klausel des Nummer 5.1.1 AUB Unfälle im Zustand einer durch Alkohol verursachten Bewusstseinsstörung nur dann aus, wenn diese für den Unfall ursächlich war. Hierbei genügt wiederum eine Mitursächlichkeit. Auch liege die Beweislast für diesen Kausalzusammenhang grundsätzlich beim Versicherer. Sind allerdings eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit und damit eine Bewusstseinsstörung des Versicherten festgestellt, spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Fahruntüchtigkeit und Unfall, so dass die Beweislast wechselt.
Bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung als „Spielregel“ für den zu beurteilenden Sachverhalt durfte das Landgericht damit nach Auffassung des OLG davon ausgehen, dass die Bewusstseinsstörung den Unfall zumindest mit auslöste. Der Kläger wiederum vermochte den für die Mitursächlichkeit sprechenden Anscheinsbeweis nicht zu entkräften. Hierbei rechtfertige sich die Anerkennung eines Anscheinsbeweises für den Kausalzusammenhang zwischen alkoholbedingter Bewusstseinsstörung und Unfall daraus, dass ein Verkehrsteilnehmer bei Erreichen der in der Rechtsprechung anerkannten Blutalkoholgrenzwerte (nämlich 1,1 Promille, vgl. § 316 StGB) in seiner psychologischen Leistungsfähigkeit so vermindert und in seiner Gesamtpersönlichkeit derart verändert ist, das den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr durch rasches, angemessenes und zielbewusstes Handeln genügt werden kann. Es kann eine Erschütterung des Anscheinsbeweises im Sinne eines Nachweises der Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes nur dann erfolgen, wenn der konkrete Sachverhalt so viele oder so gewichtige Besonderheiten aufweist, dass dem durch die allgemeine Lebenserfahrung nahe gelegten Schluss die Grundlage entzogen ist. Davon könne in einer Konstellation wie der hiesigen nur dann ausgegangen werden, wenn zwei Alternativen gleichermaßen möglich und wahrscheinlich sind und sich bei der einen die Mitursächlichkeit der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit für den Unfall nicht feststellen lässt. Wenn also der Unfall auch ohne die Alkoholisierung des Fahrers eingetreten wäre.
Letzteres sei, so das Gericht, vorliegend unter keinem Gesichtspunkt anzunehmen. Und zwar selbst dann nicht, wenn man die unter Beweis gestellte Behauptung des Klägers, der Unfallgegner sei unmittelbar vor ihm auf die linke Spur ausgeschildert, als richtig unterstellt. Denn wäre der Abstand zwischen den beiden am Unfall beteiligten Fahrzeugen zum Zeitpunkt des Wechsels des Unfallgegners auf die vom Kläger benutzte Fahrspur so groß gewesen, dass diese – bei unterstellter Fahrtüchtigkeit – genügend Zeit zur Verfügung gestanden hätte, um seine Geschwindigkeit derjenigen des nunmehr vorausfahrenden Fahrzeugs anzupassen, würden Besonderheiten, die zu Entkräftung des Anscheinsbeweises geeignet sein könnten, von vornherein fehlen. Der Kläger hätte dann, typischerweise wegen seiner Trunkenheit, schlicht nicht aufgepasst und bzw. oder nicht rechtzeitig reagiert.
Eine Haftung der beklagten Unfallversicherung scheidet nach Auffassung des Gerichtes daher vorliegend aus.
Wieder einmal ein Rechtsstreit, der über die juristischen „Spielregeln“ rund um die Beweislastverteilung entschieden worden ist.