In einem Ordnungswidrigkeitenverfahren muss es nicht notwendig zu Verurteilung oder Freispruch kommen. Vielmehr regiert hier das sogenannte Opportunitätsprinzip. Dieses besagt, dass die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ein Stück weit in das Ermessen von Ordnungsbehörden und Gerichten gestellt wird. Vereinfacht gesagt, es kann die Tat verfolgt werden, unter bestimmten Voraussetzungen kann aber auch eine Verfahrenseinstellung erfolgen.
Man ahnt es: gerade im Bereich Verkehrsrecht ergeben sich hier zahlreiche Ansatzpunkte für den Verteidiger. Denn schließlich sind ein Großteil der eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren in Deutschland auf dem Gebiet Verkehrsrecht angesiedelt. Im fließenden Verkehr hat man halt schnell einmal nicht aufgepasst und es ist „passiert“. Aus dieser Formulierung kann man schon entnehmen: wenn mir etwas einfach so „passiert“, dann habe ich doch auch nichts oder wenig dazu beigesteuert. Soll ich nun dafür bestraft werden? Für genau diese Fälle eröffnet sich die Möglichkeit, die Sache im Wege der Verfahrenseinstellung zu beenden. Der Vorteil einer solchen Beendigung des Verfahrens ist groß: Nicht nur wird die Verhängung eines Bußgeldes verhindert. Insbesondere werden keine Punkte in Flensburg eingetragen und Maßnahmen hinsichtlich des Führerscheins (meist: Fahrverbot) unterbleiben auch.
Das Opportunitätsprinzip in Bußgeldsachen ermöglicht also individuelle Lösungen. Übrigens anders als im Strafverfahren: da ist es wegen des sog. Legalitätsprinzip nicht so einfach, eine unkomplizierte Verfahrenseinstellung zu erreichen.
Bei guter Argumentation durch die Verteidigung können im Bußgeld- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren (die beiden Begriffe meinen das selbe) die Prinzipien des Opportunitätsprinzips und diejenigen des § 47 OWiG insbesondere dann ins Feld geführt werden, wenn der Betroffene eigene Schäden erlitten hat. Und wieder bietet sich das Verkehrsrecht als Anwendungsbereich an: hier hat nach einem Verkehrsunfall der „Schuldige“ (besser sollte man von „Schädiger“ sprechen, der dann in dem gegen ihn gerichteten Bußgeldverfahren zum „Betroffenen“ wird) nicht selten einen erheblichen eigenen Schaden. Denken wir zum Beispiel an einen Auffahrunfall, bei dem der Betroffene – unbestreitbar – nicht aufgepasst hat und einen erheblichen eigenen Schaden erlitten hat. Gehen wir weiter davon aus, das der Betroffene keine Vollkaskoversicherung hat. Er bleibt also auf seinen Schäden vollumfänglich sitzen. Diesen Fall hat das Strafgesetzbuch (StGB) in § 60 übrigens ausdrücklich geregelt. Danach sieht das Gericht bei einem hohen Eigenschaden unter bestimmten Voraussetzungen von der Strafe ab. Man könnte auch sagen, der Betroffene gilt als durch das Geschehen „genug gestraft“.
In Bußgeldsachen gibt es eine Regelung, die dem § 60 StGB entspricht, nicht. Es bleibt nur der schon angesprochene § 47 OWiG. Jedoch: auf diesen ist nach ganz überwiegender Auffassung der Rechtsgedanke des § 60 StGB anzuwenden (vgl. u.a. BayOLG, DAR 1989, S.309). Denn es darf nicht vergessen werden, dass es sich bei Ordnungswidrigkeiten nicht etwa um „Kriminalstrafrecht“ handelt, sondern um den Bereich von Rechtsverstößen ohne kriminellen Charakter (vgl. u.a. Fromm, Verteidigung in Straßenverkehrsordnungswidrigkeitenverfahren, 2011, S.1). Und wenn durch die Sanktionierung ein Lerneffekt bei dem Betroffenen angestrebt wird, so kann man im Einzelfall sehr wohl davon ausgehen, dass ein solcher Lerneffekt auch durch das Erleiden eines hohen Eigenschadens eintreten kann, und eben keine zusätzliche Strafe angezeigt ist.
Gilt diese für Sachschäden, oder auch für Personenschäden? Klare Antwort: in beiden Fällen kommt die Anwendung der geschilderten Verfahrensweise in Betracht. Nun muss der Betroffene bzw. sein Verteidiger natürlich ausführlich und am besten schon gegenüber der Bußgeldstelle darlegen, welche Schäden bei dem Betroffenen eingetreten sind. Bei Körperschäden bietet sich das Einreichen von Attesten an. Auch Fotos von den Verletzungen können für die Meinungsbildung von Behörden und Richtern von Bedeutung sein. Die Verteidigung sollte möglichst Bildhaft darstellen, wie weit der Betroffene eben auch von dem Unfallereignis geschädigt wurde. Bei Sachschäden am eigenen Fahrzeug sollte ein Kostenvoranschlag oder ein Schadengutachten vorgelegt werden. Und wenn der Betroffene eine Vollkaskoversicherung hat? Dann ist in aller Regel eine Selbstbeteiligung vereinbart. diese beträgt mindestens 300,- Euro. Ich denke, man wird schon sagen können, dass auch diese Summe ein ordentliches „Bußgeld“ für den verschuldeten Unfall darstellen kann. Hier sollte man sich also die Mühe machen und die Schadensabrechnung oder den Versicherungsschein vorlegen. Wie gesagt, jede Verfahrenserledigung nach § 47 OWiG hat den großen Vorteil, dass kein Punkteeintrag in Flensburg erfolgt und auch keine Gefahr für den Führerschein besteht.
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