Immer wieder steht der Grundsatz „in dubio pro reo“ – bewusst oder unbewusst – im Zentrum juristischer Diskussionen. In Deutschland ist für die Nachweisbarkeit einer Verfehlung (Straftat oder Ordnungswidrigkeit) eine gerichtssichere Feststellung erforderlich. Ein bloßes „Glauben“, dass der Verstoß begangen wurde, reicht eben nicht aus. Er muss nachweisbar sein. Ist er dies nicht, muss der Betroffene freigesprochen oder das Verfahren eingestellt werden. Dies ist ein hart erkämpfter Grundsatz, der übrigens schon seit dem späten Mittelalter in der Geschichte des Strafprozessrechtes – mal mehr, mal weniger – Anwendung fand.
Mit dieser Maxime haben insbesondere Ordnungshüter immer wieder Probleme. Ich weiß nicht, wie häufig ich Polizeibeamte schon kopfschüttelnd den Gerichtssaal verlassen sehen habe. Ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung wird von ihnen häufig als persönliche Niederlage empfunden, weil sie doch meinten, einen tatsächlich begangenen Verstoß aufgenommen zu haben. Dabei sollten sie sich doch eigentlich nur an den o.g. Grundsatz erinnern, um zu erkennen: die eigene „Wahrheit“ entspricht oft nicht der prozessualen Wahrheit, und diesen Anspruch sollte auch niemand erheben.
So wie in einem Fall, der vom OLG Hamm am 24.10.2017 zum Aktenzeichen 4 RBs 404/17 entschieden worden war. Ein Polizeibeamter meinte, durch visuelle Wahrnehmung, also mit eigenen Augen, einen Rotlichtverstoß von mehr als einer Sekunde (Folge: ein Monat Fahrverbot) beobachtet zu haben. Für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes genügt aber nach Auffassung der Gerichte die bloße gefühlsmäßige Schätzung eines den Rotlichtverstoß zufällig beobachtenden (auch eines in der Verkehrsüberwachung erfahrenen) Polizeibeamten alleine nicht, um zuverlässig entscheiden zu können, ob nur ein einfacher (also weniger als eine Sekunde) oder ein qualifizierter Rotlichtverstoß vorliegt. Soll durch Zeugenbeweis – ohne technische Hilfsmittel – ein qualifizierter Rotlichtverstoß bewiesen werden, so ist eine kritische Würdigung des Beweiswertes der Aussagen geboten. Die Anforderungen können hier nicht niedriger sein, als bei einer gezielten Kreuzungsüberwachung im Hinblick auf Rotlichtverstöße.
Ein bloßes „Beobachten und Schätzen“ reichte dem Gericht also nicht aus, es kann in diesen Fällen keine Verurteilung erfolgen. Eine konsequente Umsetzung des Grundsatzes „in dubio pro reo“, wenn auch etwas versteckt im Bußgeldrecht. Hier nochmals die Fundstelle: Beschluss des OLG Hamm vom 24.10.2017, Az.: 4 RBs 404/17