Der EU-Führerschein und seine Gültigkeit in Deutschland. Ein brandheißes Thema, das immer wieder zu Diskussionen führt. Erfahren Sie hier alles Wissenswerte rund um das Thema.
1 Warum ist die EU-Fahrerlaubnis neuerdings so beliebt?
1.1 MPU-Anordnung ist nicht justiziabel und das Vorgehen nach § 80 V VwGO meist aussichtslos
Unbestätigten Zahlen zu Folge „verlieren“ in Deutschland an jedem Tag etwa 300 Kraftfahrer ihren Führerschein. Zieht man die Anzahl der Fahrverbote ab, bleibt eine erkleckliche Summe an Entzügen gem. § 69 StGB. Der ganz überwiegende Teil hiervon entfällt auf § 69 II Nr. 1 und 2 StGB, also die Trunkenheits- und Drogenfahrten. Am Ende des Strafverfahrens meint der Betroffene, seine Tat sei gesühnt. Aber weit gefehlt: Die Wiedererteilung nach Ablauf der Sperrfrist wird in immer mehr Konstellationen (hierzu sogleich mehr) von der Beibringung einer Medizinisch-Psychologischen-Untersuchung (MPU) abhängig gemacht. Diese impliziert, je nach Fall und Persönlichkeit des Betroffenen, meist den Nachweis einer Alkohol- oder Drogenabstinenz von sechs bis zwölf Monaten. Von den Betroffenen wird dies als „Doppelbestrafung“ empfunden. Die Verwaltung beruft sich hingegen auf die Wahrung der Verkehrssicherheit, die nichts mit Bestrafung zu tun habe. Die Anordnung der MPU ist kein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 VwVfG (u.a. BVerfG, Urteil vom 08.07.02 – 1 BvR 2428/95 NJW 2002, 2381). In der vorgenannten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht lediglich die spätere Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Entziehung der Fahrerlaubnis als den eigentlichen Eingriff bezeichnet. Ein Vorgehen im Verwaltungsrechtsweg würde somit ein Abwarten der Entziehungsentscheidung voraussetzen, die regelmäßig für sofort vollziehbar erklärt wird. Wenn dann mit einem Antrag nach § 80 V VwGO gearbeitet wird, hat der Mandant zum einen für Monate keine Fahrerlaubnis, da die überlasteten Verwaltungsgerichte auch über 80 Ver-Anträge erst nach Monaten Beschlüsse fassen. Entscheidend ist aber, dass die MPU-Anordnung in den Fällen des § 13 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) zwingend vorgesehen ist und, wenn dies nicht der Fall ist, ein Beurteilungsspielraum eröffnet wird (z.B. § 13 S.1 Nr.2) e): „…sonst zu klären ist“). Die Anträge nach § 80 V VwGO haben daher nur selten Erfolg.
1.2 MPU bei „wiederholter Auffälligkeit“: Der neue § 13 FeV
Nachdem § 13 FeV bis 2008 die MPU-Anordnung beim Ersttäter bei 1,6 Promille und beim Zweittäter bei 1,3 Promille vorsah, fordert der neue Wortlaut des § 13 II Buchst.c) FeV nur noch, dass „wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden“. Dies bedeutet, dass auch zwei Verstöße gegen § 24a StVG (0,5-Promille-Grenze) ausreichen, sofern die alte Tat noch im FAER eingetragen ist. Hiervon machen die Führerscheinstellen auch intensiv Gebrauch. Es ist somit nicht mehr nur der „Straftäter“, dem die MPU droht, sondern auch Verstöße gegen die 0,5-Promille Grenze können im Wiederholungsfall die Anordnung rechtfertigen. Hiervon machen die Führerscheinstellen umfassend Gebrauch.
1.3 MPU schon ab 1,1 Promille beim Ersttäter? BVerwG: nein!
Der Wert von 1,6 Promille beim Ersttäter entspricht dem Wortlaut des § 13 II Buchst.c) FeV. Neuerdings wird dieser Wert von einigen Gerichten neuerdings schlicht umgangen.
Bis zum Jahr 2013 war es gefestigte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und auch übliche Anwendungspraxis der Führerscheinstellen, dass bei einem Ersttäter erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet wurde, bevor es zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis kam. Diese Praxis rechtfertigte sich in dem eindeutigen Wortlaut des § 13 S. 1 Nr.2 c) der Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Dieser besagt:
Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass
1.
ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründen, oder
2.
ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn
a)
nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen,
b)
wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden,
c)
ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde,
Im Gegensatz zu der Formulierung des § 14 Abs. 2 Nr.1 Fahrerlaubnisverordnung, die deutlich vorsieht, dass die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Abs. 1 anzuordnen ist, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in Abs. 1 genannten Gründe durch die Fahrerlaubnisbehörde oder ein Gericht entzogen war, sah die Formulierung in § 13 Abs. 1 Nr.2 d) hingegen durch die Formulierung
d)
die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war oder
lediglich vor, dass eine „Entziehung“ die Voraussetzung ist. Daraus hat zuerst im Jahre 2012 der Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit seinem Urteil vom 18.6.2012 geschlussfolgert:
„Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 13 Satz eins Nummer 2 d) Fahrerlaubnisordnung setzt im Sinne einer Tatbestandswirkung nur eine vorherige Entziehung der Fahrerlaubnis aus einem der Sachgründe der Buchstaben a) bis c) voraus. Bei Anknüpfung an a) (zum Beispiel Anzeichen für Alkoholmissbrauch) genügt insoweit die Feststellung, dass die frühere (verwaltungsgerichtliche oder strafgerichtliche) Entziehung wegen Alkoholmissbrauchs erfolgt ist. Eine gegebenenfalls erneute Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Gutachtenanordnung bedarf es nicht.“
Die Vorschrift des § 13 S. 1 Nr.2 c) Fahrerlaubnisverordnung war damit de facto ausgehebelt.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte dann in seinem Beschluss vom 24. 6. 2013 (NJW 2013, 3670) sodann in gewisser Hinsicht – und möglicherweise ohne rechten Blick auf die Folgen – eine Bestätigung dieser Sichtweise vorgenommen:
“ Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne von § 13 S. 1 Nr. 2 d) Fahrerlaubnisverordnung ist – wie § 14 Abs. 2 Nr. 1 Fahrerlaubnisverordnung – auch die strafgerichtliche Entziehung nach § 69 Strafgesetzbuch.“
Im Nachgang dieser beiden Entscheidungen kam der VGH Mannheim mit seinem Beschluss vom 19.8.2013 (NJW 2014,484) erneut zu dem Ergebnis, dass eine medizinisch psychologische Begutachtung im Falle der strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt bereits bei 1,1 Promille anzuordnen ist. Diese Auffassung wurde durch einen weiteren Beschluss im Jahre 2014 erneut bestätigt (VGH Mannheim NJW 2014,1833).
Dieses blieb jedoch nicht ohne Widerspruch in der Rechtsprechung. So hat beispielsweise das Verwaltungsgericht Würzburg (Beschluss vom 21.3.2014, DAR 2014,541) die äußerst nachvollziehbare Auffassung vertreten, dass die Anordnung der medizinisch-psychologischen Begutachtung nach strafgerichtliche Entziehung bereits ab dem Wert von 1,1 Promille einen Wertungswiderspruch zu den gesetzlichen Regelbeispielen in § 13 S.1 Nummer 2 a) bis c) Fahrerlaubnisverordnung darstellen würde.
Dem konterte der VGH Mannheim wiederum unter dem 7.7. 2015 (Beck RS2015,48868):
„die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Fahrt unter Alkoholeinfluss gemäß § 69 StGB im Sinne einer Tatbestandswirkung ohne weiteres die Notwendigkeit der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auslöst. Die Vorschrift des Paragrafen 13 S. 1 Nr. 2 d) Fahrerlaubnisverordnung knüpft explizit nicht an eine Kumulation der Gründe von Buchstaben a) bis c) für die frühere Entziehung der Fahrerlaubnis an, sondern alternativ an das Vorliegen eines dieser Gründe“
Allerdings hat der VGH Mannheim in dieser Entscheidung seine Sichtweise selbst relativiert und ausgeführt, dass eine einmalige Alkoholfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille nach dem Willen des Verordnungsgebers für sich genommen nicht die Anforderung eines medizinisch psychologischen Gutachtens auf der Grundlage des Paragrafen 13 S. 1 Nr. 2 a), zweite Alternative Fahrerlaubnisverordnung rechtfertigt. Dies folge zutreffend aus dem systematischen Zusammenhang mit der spezielleren Regelung des § 13 S. 1 Nr. 2 c) Fahrerlaubnisverordnung, wonach bei einer einmaligen Alkoholfahrt die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet wird, wenn bei der Trunkenheitsfahrt einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr nachgewiesen wurde. Diese Differenzierung basiere auf der dem aktuellen Stand der Alkoholforschung entsprechenden Wertung des Verordnungsgebers, dass Blutalkoholwerte ab 1,6 Promille auf eine außergewöhnliche „Giftfestigkeit“ hinweisen, die regelmäßig zur Unfähigkeit einer realistischen Einschätzung der eigenen Alkoholisierung und des dadurch ausgelösten Verkehrsrisikos führt. Somit sei jedenfalls ohne weiteres bei dieser Alkoholisierung die Kraftentfaltung des betroffenen Fahrzeugführers infrage gestellt. Im Gegensatz zu dem zuvor Gesagten lässt sich eine lediglich einmalige Alkoholfahrt mit einer niedrigeren Blutalkoholkonzentration daher für sich betrachtet noch insofern auslegen, dass es sich um eine Ausnahme handelt, der Betroffene also nicht grundsätzlich unwillig oder unfähig ist, den Konsum von Alkohol in unzulässig hohe Menge und das Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen. Anders verhalte es sich jedoch, wenn über die Teilnahme am Straßenverkehr über solche Umstände hinaus zusätzliche Gesichtspunkte die ernsthafte Besorgnis eines straßenverkehrsrechtlich relevanten Kontrollverlustes beim Alkoholkonsum begründen. Nach Auffassung des VGH Mannheim sei aber erst das beizubringen selbst medizinisch-psychologischen Gutachten Aufschluss geben darüber, ob tatsächlich Alkoholmissbrauch und damit auch für die Zukunft nicht Eignung vorliegt oder nicht. Gefordert werden müssten somit zusätzliche konkrete Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch, wenn eine einmalige Alkoholfahrt die bei Einbringungspflicht hinsichtlich des MPU Gutachtens nach sich ziehen soll.“
Demgegenüber kommt der VGH Mannheim in seinem Urteil vom 17. 11. 2015 allerdings nunmehr wiederum zu einem anderen Ergebnis:
“Wird einem Betroffenen die Erlaubnis durch ein Strafgericht entzogen, weil er unter Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat, bedarf es im Erteilungsverfahren, unabhängig von der im Rahmen der Trunkenheitsfahrt vorgelegenen Blutalkoholkonzentration, der Beibringung einer MPU“.
Inzwischen hat auch das OVG Mecklenburg-Vorpommern und das VG Berlin (Urt. v. 1.7.15, DAR 2014, S.601) diese Sichtweise übernommen.
Falls dies Praxis werden sollte, müsste jedoch zumindest eine Klarstellung in den Gesetzestext aufgenommen werden. Dann ansonsten wäre die logische Folge, dass bei JEDER strafgerichtlichen Entziehung aufgrund Alkoholfahrt, mithin ab 0,3 Promille, die Gutachtenanordung möglich ist. Dies war erkennbar nicht die Absicht des Verordnungsgebers (vgl. zum Ganzen auch Dronkovic, zfs 4/16, 314: „äußerst unglücklicher Verlauf“).
Aktuell hat nunmehr das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden (Urt. v. 06.04.2017, Az. 3 C 24.15 sowie 3 C 13.16): MPU-Anordnung beim Ersttäter unter 1,6 Promille im Grundfall NICHT zulässig. Das BVerwG hat die vorinstanzlichen Urteile, die eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bei Werten von 1,28 bzw. 1,13 Promille von der Vorlage einer MPU-Fahreignungsbegutachtung abhängig machten, geändert und die Behörden zur Wiedererteilung verpflichtet.
Anders liege es allerdings, „wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme von künftigem Alkoholmissbrauch begründen“. Offen wird in der Entscheidung gelassen, welche Tatsachen hier herangezogen werden können. Die Trunkenheitsfahrt selber sei aber, so das BVerwG, kein eigenständiger, von der 1,6 Promille-Grenze des § 13 S.1 Nr. 2 c FeV unabhängiger Sachgrund für die Anforderung eines Gutachtens.
Es bleibt jedoch dabei, die Umgehensweise der Fahrerlaubnisbehörden mit der Anordnungsgrenze ist ungewiss.
1.4 MPU-Anordnung aus anderen Gründen
Bekanntlich kann die MPU auch bei Auffälligkeiten angeordnet werden, die gar nichts mit dem Straßenverkehr zu tun haben, wenn sie nach Auffassung der Behörde den Schluss auf fehlende Fahreignung zulassen.
§ 11 FeV: Eignung
(1) Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird. Außerdem dürfen die Bewerber nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben, sodass dadurch die Eignung ausgeschlossen wird. Bewerber um die Fahrerlaubnis der Klasse D oder D1 und der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gemäß § 48 müssen auch die Gewähr dafür bieten, dass sie der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht werden. Der Bewerber hat diese durch die Vorlage eines Führungszeugnisses nach § 30 Absatz 5 Satz 1 des Bundeszentralregistergesetzes nachzuweisen.
(2) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Bewerber anordnen. Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 hinweisen. Die Behörde bestimmt in der Anordnung auch, ob das Gutachten von einem
1.
für die Fragestellung (Absatz 6 Satz 1) zuständigen Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation,
2.
Arzt des Gesundheitsamtes oder einem anderen Arzt der öffentlichen Verwaltung,
3.
Arzt mit der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ oder der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“,
4.
Arzt mit der Gebietsbezeichnung „Facharzt für Rechtsmedizin“ oder
5.
Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 erfüllt,
erstellt werden soll. Die Behörde kann auch mehrere solcher Anordnungen treffen. Der Facharzt nach Satz 3 Nummer 1 soll nicht zugleich der den Betroffenen behandelnde Arzt sein.
(3) Die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 1 und 2 angeordnet werden,
1.
wenn nach Würdigung der Gutachten gemäß Absatz 2 oder Absatz 4 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zusätzlich erforderlich ist,
2.
zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Befreiung von den Vorschriften über das Mindestalter,
3.
bei erheblichen Auffälligkeiten, die im Rahmen einer Fahrerlaubnisprüfung nach § 18 Absatz 3 mitgeteilt worden sind,
4.
bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften,
5.
bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen,
6.
bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde,
bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen,
8.
wenn die besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen nach Absatz 1 zu überprüfen ist oder
9.
bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis, wenn
a)
die Fahrerlaubnis wiederholt entzogen war oder
b)
der Entzug der Fahrerlaubnis auf einem Grund nach den Nummern 4 bis 7 beruhte.
Verstärkt meinen Führerscheinstellen und Gerichte aber schon dann einen „Rückschluss auf die innere Haltung des Fahrers auf Verkehrsvorschriften, die Fahreignungsmängel begründen“ ziehen zu können, wenn eine Vielzahl von geringfügigen – nicht punktebewehrten – Verstößen, nämlich Parkverstößen, vorliegt (vgl. u.a. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.10.08, A.Z.: 1 M 10.08). Es wird also in diesen Fällen unterstellt, dass der Fahrer eine gestörte Beziehung zur Rechtsordnung generell hat, und dass er sich deshalb psychologisch untersuchen lassen muss. Auch der VGH Baden-Württemberg hat in seinem Beschluss vom 20.11.14 (A.Z.: 10 S 1883/14) diese These im Kern gebilligt. Allerdings hat er klargestellt, dass ein Verlassen des Bewertungssystems des § 4 StVG die absolute Ausnahme bleiben muss. Eine MPU-Anordnung vor Erreichen der 8-Punkte-Grenze könne nur dann erfolgen, wenn besondere Gründe dafür vorliegen, dass durch die langjährige und hartnäckige Begehung einer Vielzahl von Parkverstößen der Eindruck aufdrängt, dass in Verbindung mit anderen Eintragungen im Fahreignungsregister eine „verfestigte gleichgültige Grundeinstellung gegenüber Verkehrsvorschriften jedweder Art offenbart“. Hierfür sei eine einzelfallbezogene Gesamtbewertung aller Umstände erforderlich. Auch das Bundeswerwaltungsgericht hatte hierzu schon klargestellt, dass die MPU-Anordnung auch anlassbezogen und verhältnismäßig sein muss (BVerwG, Urt. v. 5.7.01, A.Z.: 3 C 13.01, NJW 2002, S. 78).
1.5 Wirtschaftliche Bedeutung des gegenwärtigen Systems
Österreich ist neben Deutschland das einzige Land, in dem die MPU in der hierzulande praktizierten Form nach Ablauf der Sperrfrist gefordert wird. Dafür werden in anderen Ländern im Strafverfahren nach Alkoholfahrten teils drastische Geldstrafen verhängt (Z. B. in Dänemark: Minimum ein Netto-Monatsgehalt, in England: € 7010,-).
Hier eine weitere beeindruckende Zahl: Nach Auskunft der Begutachtungsstellen für Fahreignung wurden im Jahre 2014 in Deutschland 96.265 Fahreignungsgutachten erstellt. Tendenz: stark steigend (s.o., wenn die 1,1-Promillegrenze angewendet wird). Wenn man – vorsichtig gerechnet – davon ausgeht, dass pro Gutachten und incl. Vorbereitung von dem Betroffenen ein Kostenaufwand von € 1.500,- betrieben wurde, bedeutet dies einen Umsatz von etwa € 150.000.000,- (einhundertfünfzig Millionen Euro) jährlich.
2 Kurzer Exkurs: Der Weg zurück zur Deutschen Fahrerlaubnis
Vielfach wird davon ausgegangen, dass das Absolvieren der MPU ein Ausgeliefertsein gegenüber dem „Prüfer“ (der ja eigentlich Gutachter ist) beinhaltet und für bestimmte Kandidaten schlicht keine Aussichten auf ein positives Ergebnis bestehen. Zudem rechnen viele Betroffene mit unüberschaubaren Kosten, so dass sie den Weg erst gar nicht beschreiten. Beides ist indes nicht richtig. Die Zusammenarbeit mit einem zugelassenen Verkehrspsychologen kann meist unkompliziert und durch ein Erstgespräch klären, welche Maßnahmen erforderlich sind (Abstinenznachweis…). Dies mit sehr hoher Verlässlichkeit. Wenn dann die von dem Verkehrspsychologen vorgeschlagenen Maßnahmen unternommen werden, ergeben sich häufig sinnvolle Denkanstöße für den Umgang mit Alkohol und Drogen, die sich häufig geradezu bereichernd auswirken, oft weit über den Bereich der Fahrerlaubniserteilung hinaus. Ein kooperativer Mandant, der nicht hoffnungslos Suchtmitteln verfallen ist, kommt bei guter Vorbereitung häufiger, als gemeinhin angenommen, zum Ziel.
3 Der EU-Führerschein und die Richtlinie 2006/126/EG v. 20.12.06
Maßgebliche Rechtsquelle ist für die folgenden Überlegungen die Bestimmung der Führerscheinrichtlinie, die sich die Europäische Union gegeben hat. Die durch die Richtlinie 2006/126/EG v. 20.12.06 (sog. dritte Führerscheinrichtlinie) getroffenen Bestimmungen bestätigen die Wertungen, die bereits durch die (zweite) Richtlinie des Rates vom 27.7.91 (Richtlinie 91/439/EWG) über den Führerschein aufgestellt worden waren. Die nachfolgenden Überlegungen sind somit nicht „neu“ durch die dritte Führerscheinrichtlinie aufgekommen, sondern bereits zuvor Europäisches Recht gewesen, nach dem sich die Judikative der Mitgliedsstaaten zu richten haben.
Als Grundsatz ist sowohl in Art. 1 II der Zweiten Führerschein-Richtlinie, als auch in Art. 2 I der Dritten die gegenseitige Anerkennung der in einem Mitgliedsstaat der EU erteilten Fahrerlaubnisse verankert. Der EuGH bestärkte in zahlreichen Entscheidungen, auf die im folgenden Bezug genommen wird, den Grundsatz der Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung als klar formulierte Verpflichtung.
Kernsatz:
Es kann einer im EU-/EWR-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis (in der Richtlinie ist allerdings immer die Rede von „Führerschein“) nicht schon deshalb die Anerkennung (auch) für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verweigert werden, weil gegen den Inhaber zuvor eine Führerscheinmaßnahme wie die Entziehung der Fahrerlaubnis ergangen ist (Maßnahme nach Art. 11 IV der Richtlinie 2006/126/EG). Ausnahmen hiervon sind nur in engem Rahmen möglich.
Die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung ist im deutschen Recht in § 28 I S.1 FeV festgeschrieben. Bei weiterer Lektüre des § 28 FeV stellt man jedoch schnell fest, dass § 28 IV S. 1 Nr. 3 FeV einer Gültigkeit nach Entziehung durch Gericht / Behörde vom Wortlaut her eindeutig entgegen steht:
Einschub: Für welche Länder gilt dies eigentlich? Antwort: die 28 EU-Mitgliedsstaaten und Island, Liechtenstein und Norwegen (EWR-Staaten)
Wortlaut § 28 FeV:
(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(2) Der Umfang der Berechtigung der jeweiligen Fahrerlaubnisklassen ergibt sich „aus dem Beschluss der Kommission vom 18. Dezember 2012 über Äquivalenzen zwischen Führerscheinklassen (ABl. L 19 vom 22.1.2013, S. 1). Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Fahrerlaubnisklassen, für die die Entscheidung der Kommission keine entsprechenden Klassen ausweist. Für die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen L und T gilt § 6 Abs. 3 entsprechend.
(3) Die Vorschriften über die Geltungsdauer von Fahrerlaubnissen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE und D1E in § 23 Abs. 1 gelten auch für die entsprechenden EU-und EWR-Fahrerlaubnisse. Grundlage für die Berechnung der Geltungsdauer ist das Datum der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis. Wäre danach eine solche Fahrerlaubnis ab dem Zeitpunkt der Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gültig, weil seit der Erteilung mehr als fünf Jahre verstrichen sind oder – bei den Klassen C1 und C1E – der Inhaber das 50. Lebensjahr bereits vollendet hat, besteht die Berechtigung nach Absatz 1 Satz 1 noch sechs Monate, gerechnet von der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Inland an. Für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis ist § 30 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 entsprechend anzuwenden.
(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR- Fahrerlaubnis,
1. die lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins sind,
2. die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,
3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,
4. denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf,
5. solange sie im Inland, in dem Staat, der die Fahrerlaubnis erteilt hatte, oder in dem Staat, in dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, einem Fahrverbot unterliegen oder der Führerschein nach § 94 der Strafprozeßordnung beschlagnahmt, sichergestellt oder in Verwahrung genommen ist,
6. die zum Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis waren,
7. deren Fahrerlaubnis aufgrund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, der nicht in der Anlage 11 aufgeführt ist, prüfungsfrei umgetauscht worden ist, oder deren Fahrerlaubnis aufgrund eines gefälschten Führerscheins eines Drittstaates erteilt wurde,
8. die zum Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, die in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis umgetauscht worden ist, oder zum Zeitpunkt der Erteilung der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis auf Grund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates ihren Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie die ausländische Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts umgetauscht haben, oder
9. die den Vorbesitz einer anderen Klasse voraussetzt, wenn die Fahrerlaubnis dieser Klasse nach den Nummern 1 bis 8 im Inland nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt.
In den Fällen des Satzes 1 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen.Satz 1 Nr. 3 und 4 ist nur anzuwenden,wenn die dort genannten Maßnahmen im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind. Satz 1 Nummer 9 gilt auch, wenn sich das Fehlen der Berechtigung nicht unmittelbar aus dem Führerschein ergibt.
(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nr. 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Absatz 4 Satz 3 sowie § 20 Abs. 1 und 3 gelten entsprechend.
Juristischer Dreh- und Angelpunkt in Bezug auf inländisches Recht ist daher die Frage, ob § 28 IV S. 1 Nr.3 FeV vor europäischem Recht Bestand hat und daher angewendet werden darf.
Der Europäische Gerichtshof hat dies in nunmehr elf Entscheidungen verneint. Wie zuletzt in der Sache „Hofmann“ (EuGH, Urtl. v. 26.4.12 – C-419/10, juris, Rn 50f., 65 und 85 = NJW 2012, S. 1935) hat er klargestellt, dass die Vorschrift gegen den unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz verstößt, sofern sie sich nicht auf Fälle erstreckt, in denen die Fahrerlaubnis innerhalb einer laufenden Sperrfrist erteilt worden ist.
Und wie sehen es die Deutschen Gerichte?
3.1 Die überkommene Auffassung: § 28 IV S.1 Nr.3 FeV ist europarechtskonform
Für die Vereinbarkeit von § 28 IV S.1 Nr.3 FeV mit Unionsrecht haben sich in der Vergangenheit Stimmen in der Rechtsprechung (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 20. Januar 2010 – 16 B 814/09 -, juris, Rn. 6 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 21. Januar 2010 – 10 S 2391/09 -, NJW 2010, S. 2821 <2822 ff.>; OVG Greifswald, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 1 M 172/09 -, juris, Rn. 11 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. Mai 2010 – 2 Ss 269/10 -, NJW 2010, S. 2818 <2819 f.>; OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. August 2010 – 12 ME 57/10 -, juris, Rn. 11 ff.) und in der Literatur (vgl. Jancker, DAR 2009, S. 181 <184 f.>; Mosbacher/Gräfe, NJW 2009, S. 801 <804>) gefunden. Diese Auffassung kann als überholt bezeichnet werden.
3.2 Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und der hM: Keine Konformität
Zunächst erklärte das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 22.09.2011 -2 ByR 947/11), dass § 28 IV 1 Nr. 3 FeV europarechtswidrig, nämlich mit Art. 11 der 3. Führerscheinrichtlinie „wohl“ nicht vereinbar sei. Das Bundesverfassungsgericht hierzu:
„Es bestehen begründete Zweifel daran, dass § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit Satz 3 FeV mit Unionsrecht, insbesondere mit Art. 11 Abs. 4 und Abs. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie, vereinbar ist.
Es ist Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats, zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich der Fahreignung und des Wohnsitzes, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist (EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008, verb. Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann/Funk, Slg. 2008, S. I-4635, Rn. 52). Wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten somit nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins diese Voraussetzungen erfüllte (EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008, Wiedemann/Funk, a.a.O., Rn. 53). Dies gilt auch dann, wenn der Führerschein im Aufnahmemitgliedstaat wegen Drogen- oder Alkoholkonsums entzogen wurde und der Ausstellungsmitgliedstaat nicht dieselben Anforderungen an den Eignungsnachweis stellt, insbesondere auf eine medizinisch-psychologische Untersuchung verzichtet (EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008, Wiedemann/Funk, a.a.O., Rn. 73). Der Aufnahmemitgliedstaat ist nur im Hinblick auf ein Verhalten, das nach dem Erwerb des von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins eingetreten ist, zur nachträglichen Eignungsüberprüfung befugt. Ausnahmen von dem in Art. 1 Abs. 2 der 2. Führerscheinrichtlinie enthaltenen allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine sind insbesondere vor dem Hintergrund, dass dieser Grundsatz die Ausübung der Grundfreiheiten erleichtern soll, eng auszulegen (EuGH, Urteil vom 29. April 2004, Rs. C-476/01, Kapper, Slg. 2004, S. I-5205, Rn. 72). “
Durch eine Vielzahl von Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte ist diese Auffassung mittlerweile bestätigt. Beispielsweise schloss sich dem mit deutlicher Formulierung der VGH Baden-Württemberg mit Beschluss vom 21.06.2012, A.Z.: 10 S 968/12, NJW 2012, 3194 an:
„Soweit § 28 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 3 FeV es den inländischen Behörden ermöglicht, die Anerkennung eines EU-Führerscheins zu verweigern, obwohl ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis nicht vorliegt, ist er wegen Verstoßes gegen die Richtline 2006/126/EG unwirksam (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung aufgrund des EuGH-Urteils vom 26.04.2012).
3.3 Voraussetzungen für die Gültigkeit
Maßgeblich für die Frage der Gültigkeit der Fahrerlaubnis sind daher die folgenden Erwägungen.
3.4 Erwerb außerhalb einer in Deutschland verhängten Sperrfrist
Der EU-Führerschein darf nicht innerhalb einer von einem deutschen Strafgericht angeordneten Sperrfrist i.S.v. § 69a StGB erworben worden sein. Ansonsten ist die Fahrerlaubnis im Inland nicht anzuerkennen. Die Ungültigkeit erstreckt sich – unproblematisch – auch auf die Zeit nach Ablauf der Sperrfrist.
3.4.1 Grundfall: Erwerb nach Ablauf einer Sperrfrist.
In aller Regel wird der Interessent erst durch ein Strafverfahren (oder auch zwei Verfahren nach § 24a StVG, s.o.) motiviert sein, auf eine EU-Fahrerlaubnis zurück zu greifen. Von maßgeblicher Bedeutung ist dann aber, dass er den Ablauf der durch das Gericht verhängten Sperrfrist abwartet, da innerhalb deren Lauf keine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis erworben werden kann. (Vgl. u.a. Gericht: EuGH, Beschluss v. 03.07.08, A. Z. C-225/07 [Möginger], NJW 2009, 207).
3.4.2 Duplikaterstellung nach Ablauf / Verlust erfüllt die Voraussetzungen nicht
Wenn der Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis nun das Dokument verliert und es lediglich zu einer Ersatzausstellung kommt, sind die Voraussetzungen für eine Ausstellung nicht erfüllt. Denn hier handelt es sich lediglich um die Erstellung eines Duplikates, anlässlich derer die Ausstellungsvoraussetzungen nicht erneut geprüft werden (EuGH, Urteil v. 19.2.09, C-321.07 – Rs. Schwarz, DAR 2009, 191 ff.). Diese Duplikate sind daher keine wirksam erteilte (i.S.v. „erworbene“) Fahrerlaubnis. Denn nur bei einer solchen „erworbenen“ Fahrerlaubnis kommt es tatsächlich – so die Grundannahme der Führerscheinrichtlinie – zur Überprüfung der im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (vgl. u.a. BVerwG, NZV 2009, 306 – SVR 2009, 342).
Bei Anbietern aus England kommt es regelmäßig zur Ausstellung eines solchen Duplikates, weil dies das Englische Meldegesetz ermöglicht.
Konsequenz: kommt es nach wirksamer Ausstellung der EU-Fahrerlaubnis im Ausland zu einem Entzug der Fahrerlaubnis in Deutschland und wird sodann im Ausstellerstaat schlicht ein Duplikat erstellt, berechtigt dieses Duplikat nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Deutschen Inland (VG Berlin, Beschluss vom 12.12.14, VG 11 L 475.14, S. 7).
Spezialproblem bei Neuerwerb im selben Land: evtl. nicht möglich, weil bereits im Besitz. Dann lautet die Alternative: Erwerb in einem anderen Land. Aber:
§ 8 FeV: Ausschluß des Vorbesitzes einer Fahrerlaubnis der beantragten Klasse
„Eine Fahrerlaubnis der beantragten Klasse darf nur erteilt werden, wenn der Bewerber keine in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erteilte Fahrerlaubnis (EU- oder EWR-Fahrerlaubnis) dieser Klasse besitzt.“
Es wird daher die Rückgabe und der Verzicht auf die alte FE erforderlich (!). Dieser Schluss ergibt sich auch aus § 28 IV Nr. 6 FeV. Ob allerdings allein der Besitz einer weiteren Fahrerlaubnis bei gleichzeitigem Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis zu deren Nichtanerkennung führt, ist derzeit offen (vgl. Zwerger, zfs 2015, 188).
3.4.3 Erwerb vor Anordnung einer Sperrfrist
Wenn es zunächst zur Erteilung einer EU-Fahrerlaubnis kam und danach in Deutschland eine Verurteilung mit Sperrfristverhängung erfolgt, hängt das Aufleben der Berechtigung, von der EU-Fahrerlaubnis nach Fristablauf Gebrauch zu machen, grundsätzlich von der Tilgung der Maßnahme im Fahreignungsregister ab, § 28 IV S.3 FeV (vgl. hierzu VG Berlin, Beschluss vom 12.12.14; VG 11 L 475.14, S.5). Aber: die Behörde darf Maßnahmen ergreifen, hierzu sogleich mehr.
4 Verkehrsverstoß im Inland nach Erwerb der EU-Fahrerlaubnis
Wenn nach der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis im Deutschen Inland ein Verkehrsverstoß begangen wird, der zur Entziehung der (deutschen) Fahrerlaubnis führen würde, so kann dies die Anordnung eines Fahreignungsgutachtens nach überwiegender Auffassung rechtfertigen. Im Falle der Nichtbeibringung des Gutachtens kann die Aberkennung der Fahrberechtigung erfolgen (vgl. u.a. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.1.15 – 12 LA 9/14). Der jüngst entschiedene Fall Aykul (EuGH, Urtl. v. 23.4.15, A.Z.: C-260-13) betraf ebenfalls die Konstellation, dass eine deutsche Führerscheinstelle Maßnahmen ergreift aufgrund einer Zuwiderhandlung, die begangen wurde, nachdem die Fahrerlaubnis im Ausland erworben worden war.
Auch hier ist zu differenzieren: Das Strafgericht ordnet eine Sperrfrist an (nicht: entzieht, das ist bei ausländischen Fahrerlaubnissen nicht möglich); die Fahrerlaubnisbehörde erlässt den Feststellungsbescheid.
Die Nichtanerkennung gilt auch für die Ausstellung der EU-Fahrerlaubnis während eines in Deutschland verhängten Fahrverbotes (EuGH, Urt. v. 20.11.08 – C-1/07, Rs „Weber“, NJW 2008, 3767). Gleiches gilt, wenn bei Erteilung der EU-Fahrerlaubnis der zuvor in Deutschland ausgestellte Führerschein beschlagnahmt oder gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen worden war und später aufgrund des der Beschlagnahme zugrunde liegenden Sachverhaltes die Entziehung der (deutschen) Fahrerlaubnis erfolgte (EuGH, Urt. v. 13.10.11 – C-224/10, Rs. „Apelt“, NJW 2012, 369). Aus § 28 IV Nr. 4 wird gefolgert, dass bei Erteilung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis innerhalb einer isolierten Sperrfrist entsprechendes gilt, d.h. Ungültigkeit auch nach Ablauf der Sperrfrist (BverwG, Urt. v. 25.8.2011 – 3 C 28/10, DAR 2012, 102).
5 Kein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis
In Art. 7 I, Buchst. e) der Dritten Führerschein-Richtlinie (wie auch in Art. 7 1b der Zweiten Führerschein-Richtlinie) ist festgelegt, dass Voraussetzung für die Erteilung der Fahrerlaubnis der ordentliche Wohnsitz des Bewerbers in dem ausstellenden Staat ist. § 28 IV Nr.2 FeV hat dieses Erfordernis insofern nachgezeichnet, als die Gültigkeit der Fahrerlaubnis von der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses abhängig gemacht wird.
Als ordentlicher Wohnsitz im Sinne der Richtlinie gilt nach Art. 12 der Ort, „an dem ein Führerscheininhaber persönliche oder berufliche Bindungen hat, die Enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen“. Weiter bestimmt Art. 12 der Dritten Führerschein-Richtlinie, dass der Bewerber an mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr dort wohnt.
Ein Subsumtionsversuch, ob dies im konkreten Falle bei dem Mandanten der Fall ist, ist jedoch weder erfolgversprechend, noch erforderlich. DENN: Eine EU-Fahrerlaubnis ist nur dann wegen eines Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis nicht anzuerkennen, wenn ein solcher Verstoß zum Zeitpunkt des Erwerbes feststeht. Hierbei muss im Strafverfahren die Staatsanwaltschaft den Nachweis führen, dass ein solcher Verstoß vorlag.
5.1 Grundsatz: der Ausstellerstaat prüft die Einhaltung
Der Folgende Aspekt ist für das Thema von entscheidender Bedeutung:
Grundsätzlich gilt die Vermutung, dass die Führerscheinstelle des EU-Mitgliedsstaates bei der Ausstellung der Fahrerlaubnis überprüft hat, dass die nach europäischem Recht vorgegebenen Mindestanforderungen sowohl hinsichtlich der geistigen und körperlichen Voraussetzungen, als auch hinsichtlich des Wohnsitzerfordernisses erfüllt sind.
Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag der Ausstellung die dafür maßgeblichen Voraussetzungen erfüllte (vgl. u.a. OVG NRW, Urt. v. 17.1.14 – 16 A 1292/10)
Der 185-Tage-Regelung kommt somit nur insofern Bedeutung zu, als der Ausstellerstaat diesbezügliche Überprüfungen vorzunehmen hat, und zwar bevor die Fahrerlaubnis erteilt wird. Die anderen Mitgliedsstaaten sind sodann nicht befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen (vgl. Urteil des EuGH vom 29.4.04, C-476.01 – Rs. Kapper-, DAR 2004, 333 ff.)
5.2 Ausnahme: Der Wohnsitzverstoß ist nachgewiesen
Es ist Sache der Staatsanwaltschaft / Verwaltungsbehörde, einen Wohnsitzverstoß nachzuweisen. Nochmals: gelingt dies nicht, ist die Fahrerlaubnis aufgrund der Vermutung, dass die Führerscheinstelle des EU-Mitgliedsstaates bei der Ausstellung der Fahrerlaubnis überprüft hat, als gültig anzusehen.
Hierbei ist zu beachten, dass ein einmal erwiesener Wohnsitzverstoß sich „fortpflanzt“. Das heißt, dass bei Vorliegen eines Verstoßes beim Erwerb der FE-Klasse „B“ ein Umtausch in die Klasse „C“ auch letzteren Führerschein ungültig macht (EuGH Rs Köppl, NZV 2012, 501). Gleiches gilt bei Umtausch eines im einen EU-Mitgliedsstaates unter Wohnsitzverstoß erworbenen Führerscheins, wenn ein anderer Mitgliedsstaat bei dem Umtausch nicht die Fahreignung überprüft hat (vgl. u.a. BayVGH, Beschl. v. 24.11.14 – 11 ZB 14.1193).
Man sieht auch hieran wieder, dass es immer auf die Überprüfung der Erteilungsvoraussetzungen beim Erwerb ankommt.
5.2.1 Nachweis durch das Dokument oder durch Angaben aus dem Ausstellerstaat
Wenn eine Mitteilung des Ausstellermitgliedsstaates vorliegt, nach der sich der deutsche Staatsangehörige im zeitlichen Zusammenhang mit der Erlangung der Fahrerlaubnis nicht mindestens 185 Tage im Ausstellermitgliedsstaat aufgehalten hat, muss die Fahrerlaubnis nicht anerkannt werden. Grundsätzlich muss sich der Verstoß entweder aus dem Führerschein selbst ergeben, oder – viel relevanter – aus
„anderen, vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden, unbestreitbaren Informationen“.
Hintergrund dieser eingeschränkten Definition ist wohl, dass der EuGH eine Ausnahme vom gegenseitigen Anerkennungsgrundsatz nur dann machen will, wenn der Ausstellermitgliedsstaat selbst „einräumt“, bei der Ausstellung des Führerscheins die Wohnsitzvoraussetzung nicht beachtet zu haben (vgl. Koehl, NZV 2015, 9), hierzu sogleich mehr.
Insbesondere in älteren EU-Fahrerlaubnissen findet sich mitunter bei dem Punkt „Wohnsitzangabe“ der Herkunftsort des Mandanten („Wohnsitz: Oranienburg“). Dies ist der klassische Fall eines erwiesenen Wohnsitzverstoßes auf Grundlage von Angaben aus dem Dokument selber. Die EU-Fahrerlaubnis ist in dieser Form nicht in Deutschland gültig. Inzwischen werden diese „Fehler“ aber nicht mehr gemacht.
Weitere vom Ausstellerstaat herrührende Informationen sind Auskünfte des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.8.11 – 11 CS 13.2166, NJW 2014, 1547) sowie aller Behörden des Ausstellerstaates. Aber der EuGH hat u.a. in dem Beschluss vom 09.07.2009 (Aktenzeichen: C-445/08 [Kurt Wierer]) klargestellt:
Die Erkenntnisquellen, aufgrund derer die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abgelehnt werden darf, sind in dem Beschluss vom 26.06.2008 (Wiedemann u. Funk) abschließend aufgezählt: „vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen.“ Deshalb darf die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses weder aus eigenen Erklärungen des Erlaubnisinhabers im Verwaltungsverfahren geschlussfolgert werden, noch aus einer Erklärung des Ausstellermitgliedstaats, wonach der Wohnsitz bei Ausstellung des Führerscheins nicht geprüft worden ist.
Wichtig ist zum einen der in dieser Entscheidung ausdrücklich benannte Aspekt, dass eigene Angaben des Führerscheininhabers gegenüber Behörden oder Gerichten nicht verwertet werden dürfen, selbst wenn darin ein Wohnsitzverstoß eingeräumt wird (vgl. auch u.a. Hentschel/König/Dauer, § 28 FeV RN 28). Oftmals wollen Polizeibeamte noch an der Anhaltestelle ein entsprechendes „Geständnis“ von dem Betroffenen hören und bekommen dies auch.
Wenn aber, wie in dem Fall OVG NRW, Urt. v. 17.1.14 – 16 A 1292 /10, die ausländische Behörde bestätigt, dass der Betroffene vor dem Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis weniger als 185 Tage dort gemeldet war (hier waren es 91 Tage durch Wohnsitzmeldung dokumentierte Aufenthaltsdauer), kann das nationale Gericht von unbestreitbaren Informationen zum Nachweis eines Wohnsitzverstoßes ausgehen (vgl. auch EuGH, Urt. v. 1.3.12 – C-467/10 (Akyüz = NJW 2012, S. 1341).
Ausreichen soll für die „unbestreitbare Information aus dem Ausstellerstaat“ z.B. die Nachschau der Polizei des Ausstellermitgliedstaat an der angegebenen Adresse sein, wenn sich ergibt, dass dort deutlich mehr Personen gemeldet sind, als tatsächlich untergebracht werden können (BayVGH, Urt. v. 20.2.14, 11 BV 18.1189), oder wenn es sich bei dieser Adresse um ein Motel handelt (VG Augsburg, Beschl. v. 24.4.14, Au 7 S 14 456). Als Herkunftsquelle reicht aus, dass die entsprechende Information aus dem gemeinsamen Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit stammt und diese wiederum bei den Behörden des Ausstellerstaates ermittelt hatte (u.a BVerwG DAR 2013, 594).
Auch kann die deutsche Behörde / das deutsche Gericht seine Vertretung im Ausstellermitgliedsstaat einschalten, um an die entsprechenden Informationen zu kommen (vgl. EuGH vom 1.3.12, Rs C-467/10 NJW 2012, 1341). Ein wichtiges Detail an dieser Stelle: eine als eMail übermittelte Auskunft ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 371a II S.1, 416a ZPO zur Beweisführung geeignet. Das heißt, dass ein Ausdruck der eMail die Vermutung der Echtheit nur in sich trägt, wenn das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 2 Nr.3 SignG) versehen ist (OVG Saarland, Urteil v. 8.5.12 – 1 A 235/11).
5.2.2 Nachweis durch andere (ergänzende) Ermittlungen
Grundsätzlich ist mit dem Vorgenannten die Informationsbreite für einen berücksichtigungsfähigen Wohnsitzverstoß abschließend erörtert. Aber es können auch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft / Verwaltungsbehörde einen Wohnsitzverstoß belegen, sofern diese zuvor aufgrund von Informationserteilung aus dem Ausstellerstaat Berechtigung erlangt haben. An dieser Stelle ist auf ein äußerst bedeutsames Detail hinzuweisen: Die vom Ausstellerstaat stammenden Informationen stellen nach der Rechtsprechung zulässigerweise den Rahmen dar, innerhalb dessen die erkennenden Stellen alle Umstände des konkreten Falles berücksichtigen dürfen (vgl. EuGH, Urt. v. 1.3.12 – C-467/10 (Baris Akyüz), NJW 2012, 1341; OVG Rh-Pfl., Beschl. v. 15.1.16 – 10 B 11099/15; BayVGH, Beschl v. 15.9.15 – 11 ZB 15, 1077).
Einzelfälle:
So hat in einem vom OVG Lüneburg (Beschl. v. 10.03.2016, 12 ME 22/16) entschiedenen Fall die Polizei in dem Ausstellerstaat (hier: Tschechien) auf Hilfeersuchen des Gerichts an dem (angeblichen) Wohnsitz Nachforschungen angestellt und sodann berichtet:
„Durch die Einvernahme der Mieterin im ersten Stock, Frau … [es folgen Name, Vorname, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit der Zeugin] wurde in Erfahrung gebracht, dass im Haus nur Mietwohnungen sind und dort nur tschechisch sprechende Personen wohnen … Deutsch sprechende Personen hat sie dort noch nie gesehen.“
Diese Tatsachenfeststellung – in Form des Polizeiberichtes – ist nach Auffassung des OVG Lüneburg als unbestreitbare Information des Ausstellermitgliedstaates zu betrachten, die der Annahme eines ordentlichen Wohnsitzes des Antragstellers in der Tschechischen Republik zum Zeitpunkt der Erteilung seiner tschechischen EU-Fahrerlaubnis entgegensteht, weil der Betroffene sich hierzu nicht weiter erklären wollte. Eine äußerst fragwürdige Sichtweise, geht doch die Information letztlich auf die Aussage der (i. Zw. wahllos herausgegriffenen) Mieterin vor Ort zurück.
Ähnlich lag der vom VGH München mit Beschluss vom 11.07.2016 (A.Z. 11 CS 16.1084 – wieder Tschechien!) entschiedene Fall:
“ Es ist vor Ort festgestellt worden, dass unter der tschechischen Meldeadresse „CZ – 418 01 B., K. Nr. …“ neun deutsche Staatsangehörige, darunter auch der Antragsteller, einen vorübergehenden Aufenthalt angemeldet hätten. Sämtliche Personen hätten mit Sitz an dieser Adresse ein Unternehmen (Groß- und Einzelhandel) gegründet. Das um weitere Ermittlungen gebetene Gemeinsame Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit hat sodann mitgeteilt, unter der angegebenen Adresse seien 36 weitere deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz gemeldet. Nach Angaben der Distriktabteilung der Polizei in B. handele es sich bei der Meldeadresse um ein Reihenhaus ohne Türglocke und Briefkasten. Das Anwesen sei zu einer Pension umgewandelt worden; es deute aber nichts darauf hin, dass sich diese derzeit im Betrieb befinde. Bei einer Überprüfung des Anwesens durch die örtliche Polizei sei niemand angetroffen worden.“
In dieser Konstellation kann das Gericht dann, wenn es Informationen aus dem Ausstellerstaat hat, die Zweifel auslösen (wie zuletzt der zuvor zitierte VGH München) auch das Verhalten und Vorbringen des Betroffenen berücksichtigen:
„Wenn ein Beteiligter sich nicht klar und eindeutig zu Gegebenheiten äußert, die seine eigene Lebenssphäre betreffen und über die er deshalb besser als der Verfahrensgegner Bescheid wissen muss, darf ein Gericht ein solches Erklärungsverhalten bei seiner Entscheidung berücksichtigen (vgl. auch BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634 – juris Rn. 20).“
Immer häufiger wird in der Rechtsprechung in letzter Zeit der bereits genannte Grundsatz betont, dass die Frage eines Wohnsitzverstoßes aufgrund einer Gesamtschau zu beurteilen ist, bei der die von dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen nur den „Rahmen“ bildet (s.o.), innerhalb dessen alle Umstände des anhängigen Rechtsstreits berücksichtigt werden dürfen. In einer hierzu passenden Entscheidung des niedersächsischen OVG (Beschluss vom 29.3.2016, A. Z. 12 ME 32/16) hatte die (wieder: tschechische) Behörde die Mitteilung gemacht, der Betroffene habe zwar in der tschechischen Republik einen Wohnsitz gehabt, es sei jedoch von dortiger Seite nicht bekannt, wo genau dieser Wohnsitz genommen worden sei. Es sei nur ein Wohnsitz „in der tschechischen Republik“, nicht aber ein solcher unter einer bestimmten dortigen Adresse genommen worden. Dies reichte dem niedersächsischen OVG aus, um im Rahmen der besagten „Gesamtschau“ (bei der dann auch die Tatsache eine Rolle spielte, dass der Betroffene in deutschen Inland seinen Wohnsitz behalten hatte) von einem Wohnsitzverstoß auszugehen.
5.2.3 – Die „Unknown-Masche“
Immer weiter wird die Grenze eines tauglichen „Hinweises“ in letzter Zeit von den Gerichteten gezogen, so z.B. vom OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss v. 15.1.16, A.Z.: 10 B 11099/15). Gemeint ist der Fall, dass von der Führerscheinbehörde im Ausstellerstaat die Information, dass der Antragsteller nach ihren Informationen zwar dort seinen gewöhnlichen Wohnsitz („normal residence“) hatte, über weitere Angaben verfüge die Behörde aber nicht („unknown“). Konkret ist der Ablauf so, dass mittels eines Formblattes welches über das Kraftfahrtbundesamt an den Ausstellerstaat übermittelt wird, zahlreiche Fragen über den Betroffenen an die ausstellende Führerscheinbehörde im EU-Mitgliedstaat gestellt werden. Neben der Frage nach einem ordentlichen Wohnsitz finden sich dort allerdings weitere Informationswünsche, namentlich über im Ausstellerstaat bestehendes Grundeigentum, dortige Steuerzahlungen oder dort lebende Familienangehörige. Berücksichtigt man nun den Umstand, dass diese Fragen an eine Fahrerlaubnisbehörde gerichtet worden sind so verwundert es nicht, dass zumindest die Frage nach Grundbesitz Steuerzahlungen oder Familienangehörigen regelmäßig mit „unbekannt“ beantwortet wird.
Selbst wenn nun die Frage nach dem ordentlichen Wohnsitz, also nach der eigentlich im europarechtlichen Sinne relevanten Frage, vom Ausstellerstaat mit „ja“ beantwortet wurde, so reicht die Antwort „unbekannt“ bei den anderen Fragestellungen, um Zweifel am Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes zu begründen und mithin die Umstände des Ausgangsverfahrens (also die inländischen Umstände) zur weiteren Bewertung der Wohnsitzfrage heranzuziehen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 26 dritten 2014, Aktenzeichen zwei Ss 799/13; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28.8.2017, Aktenzeichen eins OLG zwei SS 32/17; OVG Koblenz, NJW 2016,2 1052 m.w.N.). Mit einer äußerst fragwürdigen und abzulehnenden Begründung (so auch VG Köln 23 L 2465/15) kommen dann Gerichte wie das OVG Rheinland-Pfalz zu einem M.E. nicht vertretbaren Ergebnis:
Zwar kann der Umstand, dass den Behörden etwaige familiäre, berufliche, geschäftliche oder sonstige Verbindungen des Betroffenen nicht bekannt sind, als solcher nicht zu seinen Lasten gehen …. dies ändert aber nichts daran, dass Informationen ausschließlich auf einer melderechtlichen Grundlage geeignet sein können, auf einen Wohnsitzverstoß „hinzuweisen“.
Sodann kommt – z.B. – das OVG Rheinland-Pfalz sofort auf den Umstand, dass der Antragsteller auch im deutschen Inland gemeldet war, zu sprechen. Dies hat aber nach dem zuvor gesagten nur dann Belang, wenn eine auf einen Wohnsitzverstoß hinweisende Informationserteilung aus dem Ausstellerstaat den „Rahmen“ für eine solche Gesamtwürdigung eröffnet. Da dies vorliegend gerade nicht der Fall war, ist die Entscheidung aus meiner Sicht zwingend aufzuheben.
Vor dem Hintergrund, dass die weitergehenden Fragen Themenbereiche betreffen, die für die ausstellenden Fahrerlaubnisbehörde zur Beurteilung der Wohnsitzfrage gänzlich irrelevant gewesen sind verwundert es nicht, dass diese, in Ermangelung der Relevanz für die eigene Beurteilung des Bestehens der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins, eine entsprechende Überprüfung nicht vorgenommen hat und insoweit die entsprechenden Fragen überhaupt nicht beantworten kann. Es ist daher nur folgerichtig, dass die entsprechenden Fragen mit „unbekannt“ durch den Ausstellerstaat, vertreten durch die zuständige Fahrerlaubnisbehörde, beantwortet werden. Der Umstand, dass der EuGH seine diesbezügliche Rechtsprechung nicht aufgegeben hat sondern diese vielmehr nochmals eindeutig bekräftigte (vgl. EuGH, a.a.O.) verdeutlicht, dass die derzeitige Rechtsauslegung der deutschen Gerichtsbarkeit in diesem Punkt erheblich zu weitgehend ist. Die Auskunft des Ausstellerstaates, dass gewisse Umstände um den Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis „Unbekannt“ sind, dürfte lediglich als rechtliches Nullum, nicht jedoch als eindeutiges Indiz dafür gewertet werden, dass ein ordentlicher Wohnsitz zum Zeitung der Ausstellung des Führerscheins auf dem Gebiet des Aussteller Mitgliedsstaates nicht bestand (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 24.06.2014, Az.: 6 B 21/14, VG Köln, Beschl. v. 2.11.2015, Rdz. 13, jeweils m.w.N.). Dieser Ansicht erscheint, auch im Hinblick darauf, dass der EuGH explizit festgestellt hat, dass die Auskunft der Behörden des Aussteller Mitgliedsstaates, sie hätten das Bestehen der Wohnsitzvoraussetzungen nicht geprüft, nicht als taugliche Information zum Nachweis eines Wohnsitzverstoßes herangezogen werden kann (EuGH, Rechtssache Wierer, NJW 2010, 217). Die Nichtaufgabe dieser Feststellungen verdeutlicht, dass die oben genannten Entscheidungen deutscher Gerichte nicht mit der Rechtsfolgen des EuGH in Einklang zu bringen sind.
Das aktuelle Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein Westfalen vom 9.1.18 zum Az. 16 B 534/17 hat dem jüngst eine klare Absage erteilt. Zu dem streitentscheidenden Punkt („unknown-Rückmeldung“) führt das OVG aus:
Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an, allerdings mit der Maßgabe, dass im Ausgangspunkt (wirklich) nur vom Ausstellermitgliedstaat herrührende und deutlich auf eine bloße Umgehung des Wohnsitzerfordernisses durch den Inhaber der in Frage stehenden EU oder EWR Fahrerlaubnis hinweisende Umstände berücksichtigt werden können.
…
Auch erscheint es dem Senat als zu weitgehend, das bloße Ausbleiben angeforderter ergänzender Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat etwa durch den formularmäßigen Hinweis, die näheren Umstände des Aufenthalts des Betroffenen seien unbekannt („unknown“) als Indiz für einen Wohnsitzverstoß zu bewerten. Denn der Europäische Gerichtshof hat hervorgehoben, dass auch die Erklärung der nationalen Behörden des Ausstellermitgliedstaats, sie hätten die Wohnsitzvoraussetzung nicht geprüft, nicht beweise, dass der Inhaber seinen Wohnsitz nicht im Gebiet dieses Mitgliedstaats gehabt hat.
Vgl. EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 C 445/08 (Wierer) , a. a. O., Rn. 55.
Nochmals: Ansatzpunkte für einen Wohnsitzverstoß gibt es nur, wenn die ausländische Behörde im ersten Schritt tatsächlich Informationen geliefert haben, die gegen die Wohnsitznahme sprechen bzw. sich in dieser Richtung auslegen lassen. Die ausländische Behörde muss somit zu einem gewissen Grad eingeräumt haben, „dass im eigenen Land geschummelt wurde“. Dies ist derzeit nur aus Tschechien und neuerdings in Einzelfällen aus Polen bekannt.
Man kann zusammenfassen: wenn irgendeine Rückäußerung aus dem Ausstellerstaat kommt, die sich als Auslegungsfähig in Richtung eines Wohnsitzverstoßes darstellt, sind die Gerichte geneigt, den Verstoß zu bejahen. Hier wird aus meiner Sicht in nicht zulässiger Weise das Prinzip durchgesetzt, dass „nicht sein kann, was nicht sein darf“.
5.2.3 Verhältnis von Wohnsitz und Lebensschwerpunkt
Das Wohnsitzerfordernis ist in Art. 7 I Buchst.e und Artikel 12 der Richtlinie 2006/126/EG genauer definiert. Hier werden diverse Aspekte und Definitionen zu Lebenssituationen und privaten und beruflichen Bindungen aufgeführt. Zu beachten ist aber, dass sowohl in dem Strafverfahren vor dem deutschen Gericht, als auch im Verwaltungs(gerichts-)verfahren Ausführungen von Seiten des Mandanten regelmäßig nicht erforderlich sind und auch nicht erfolgen sollten (Gefahr der Selbstbelastung / Widersprüchlichkeit!). Denn die Erfüllung der in Art. 7 I Buchst. e und Artikel 12 der Richtlinie 2006/126/EG definierten Anforderungen hat durch die ausstellende Behörde zu erfolgen, den Mandanten trifft keinerlei Darlegungslast.
5.2.4 Nicht entgegen stehend: Wohnsitzmeldung in Deutschland blieb erhalten
Bereits die Erteilung der EU-Fahrerlaubnis sowie das Fehlen gegenläufiger Angaben aus dem Ausstellerstaat beweisen die Beachtung des Wohnsitzerfordernisses. Wichtig und praxisrelevant: auch wenn der Mandant während des insoweit maßgeblichen Zeitraumes seinen Wohnsitz in Deutschland beibehalten hat, belegt dies keinen Wohnsitzverstoß (sofern nicht zuvor belastende Informationen aus dem Ausstellerstaat kamen, s.o.). Denn es kann nach der eindeutigen Rechtsprechung des EuGH eine solche, auch den Zeitraum des Führerscheinerwerbs erfassende einwohnermeldeamtliche Meldung in Deutschland nicht gegenläufig als Nachweis eines Wohnsitzverstoßes herangezogen werden (vgl. u.a. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.12.13, A.Z. 16 B 1287/13 RN 30; EuGH, Urteil v. 26.6.08; C-329/06 und C-343/06 (Wiedemann u.a.) und C-334/06 bis C-336/06 (Zerche u.a.). Hierbei ergingen die genannten Urteile zur Auslegung der Richtlinie 91/439/EWG, sind jedoch auch auf die Auslegung der Richtlinie 2006/126/EG zu übertragen (vgl. EuGH, Urteil vom 26.4.12, C-419/10; OVG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 19.12.13, A.Z. 16 B 1278/13, RN 31). Zur neuen Richtlinie äußerte sich unmehr auch das OVG Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung vom 31.8.16 (A.Z.: OVG 1 S 41.16):
„Allein entscheidungserheblich für den Ausnahmetatbestand des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV können dabei die Eintragung im Führerschein selbst (1. Alt) oder vom Ausstellerstaat herrührende Informationen sein (2. Alt.).Insofern kommt es auf die vom Antragsgegner bei der inländischen Meldebehörde ermittelten Umstände zunächst nicht an.“
Die Staatsanwaltschaft / Fahrerlaubnisbehörde kann somit nicht aus der Tatsache, dass der Mandant schließlich in der für den Erwerb maßgeblichen Zeitspanne in Deutschland gemeldet war, auf das Vorliegen eines Wohnsitzverstoßes schließen.
Wenn der Mandant in dem Ausstellungszeitraum durchgehend Hartz IV in Deutschland bezogen hat, konnte dies in der Vergangenheit teilweise zur Überzeugung von Gerichten hinsichtlich der Bejahung eines Wohnsitzverstoßes führen. In diesem Zusammenhang konnte nach Auffassung dieser Richter von Bedeutung sein, ob sozialrechtliche Präsenzpflicht besteht. Diese Sichtweise ist in Anbetracht der zitierten Rechtsprechung nicht haltbar. Denn die Erkenntnisquellen für den Verstoß sind hier wie gesagt abschließend aufgezählt: Vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen.
5.2.5 Ergebnis
Wenn ein Nachweis des Wohnsitzverstoßes nicht gelingt, hat das Gericht nach dem oben Gesagten zu tenorieren (wie z.B. das OLG Hamm in seinem Urteil vom 26.9.12, A.Z. III-3 RVs 46/12): „Es ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch nicht ersichtlich, dass der Angeklagte zu der Zeit, als er seinen Führerschein erwarb, keinen Wohnsitz in Polen / Tschechien / Spanien hatte“ Der Führerschein ist damit als gültig anzuerkennen.
Wichtig: Die Gültigkeit erfordert keinerlei Anerkennungsakt oder Umschreibung. Im Gegenteil, wenn der Betroffene beantragt, seine ausländische EU-Fahrerlaubnis von einer deutschen Führerscheinstelle in eine deutsche Fahrerlaubnis umschreiben zu lassen, wird diese – und darf das auch! – den Vorgang von dem Beibringen eines (deutschen) Fahreignungsgutachten / MPU abhängig machen.
Lernkontrolle: wer kann diesen Passus lesen, verstehen und als nicht widersprüchlich empfinden (aus: Urteil OVG NRW v. 17.1.14, dort RN 20)
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, grundsätzlich im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt dies aber nicht für solche Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten…
Welches Wort macht den Unterschied?
6 Der Fall Aykul
In dem Fall Aykul (EuGH Rechtssache C 260/13) ging es um eine österreichische Staatsangehörige, die mit ihrem österreichischen Führerschein regelmäßig in Deutschland fuhr und wegen einer Cannabisfahrt in Deutschland gem. § 24a StVG auffällig wurde. Die Behörde ordnete die Entziehung der Fahrerlaubnis für den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland an.
Da das VG Sigmaringen Zweifel hatte, ob die deutschen Rechtsvorschriften mit der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine vereinbar sind, hat es – zutreffend und folgerichtig – das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof insbesondere die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht die aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 sich ergebende Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine einer nationalen Regelung der Bundesrepublik Deutschland entgegen, nach der das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, nachträglich auf dem Verwaltungswege aberkannt werden muss, wenn der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis mit dieser in Deutschland ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss illegaler Drogen führt und in der Folge, nach den deutschen Bestimmungen, seine Fahreignung nicht mehr besteht?
Die Frage ist im Ergebnis verneint worden, d.h. die Entziehung durfte erfolgen. Hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen die Fahreignungsbegutachtung zu erfolgen hat, hat der EuGH den Deutschen Behörden jedoch einschränkend geäußert:
Dass die Wiedererteilung der Fahrberechtigung im deutschen Hoheitsgebiet von einem positiven medizinisch-psychologischen Gutachten abhängt, das auf der Basis eines positiven Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung in Deutschland erstellt wird, kann zwar als eine Maßnahme mit Zwangscharakter angesehen sein. Meines Erachtens ist insoweit nur eine Einschränkung zu machen: Die Bescheinigung muss auch von einer Begutachtungsstelle oder gleichwertigen Stelle stammen können, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist und die Kriterien der Richtlinie 2006/126 anwendet. Die Maßnahme als solche ist jedoch als ein wirksames Mittel zur Erhöhung der Verkehrssicherheit anzusehen.
Wichtig: Hier war Gegenstand des Rechtsstreits eine Entscheidung über den Entzug der Fahrerlaubnis aufgrund einer Handlung der Klägerin des Ausgangsverfahrens, die erst nach der Ausstellung dieses Führerscheins erfolgte, wobei diese Handlung durch die deutschen Behörden als straßenverkehrsgefährdend eingestuft wurde. Keinesfalls ging es um eine Verweigerung der Anerkennung der Fahreignungsbeurteilung, die der Ausstellerstaat „im Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins“ gemäß den genannten Bestimmungen vorgenommen hat.
7 Rechtsprechung
Das o.g. Ergebnis ist nunmehr durch die folgenden Entscheidungen (mit Leitsatzauszügen) bestätigt worden.
7.1 Entscheidungen des EuGH:
Ein im EU-Ausland ausgestellter Führerschein muss in jedem Mitgliedsstaat „ohne jede Formalität“ anerkannt werden, auch wenn der Führerscheininhaber dort nicht seinen Wohnsitz hatte (Art. 1 II i.V.m. Art. 7 I lit. b, Art. 8 IV und Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG). Eine im Inland für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis verhängte Sperrfrist steht dem jedenfalls dann nicht entgegen, wenn sie abgelaufen war, als der ausländische Führerschein erteilt wurde.
Urteil vom 29.04.2004; Aktenzeichen: C-476/01 [Frank Kapper]; Fundstelle: NJW 2004, 1725.
Eine im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis muss anerkannt werden, wenn im Inland keine Sperrfrist lief, als sie erworben wurde. Die Richtlinie 91/439/EWG verbietet es, die Anerkennung an Bedingungen zu knüpfen, die nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen.
Beschlussdatum: 06.04.2006 Aktenzeichen: C-227/05 [Halbritter]Fundstelle: NJW 2006, 2173
Richtlinie 91/439/EWG verlangt die Anerkennung einer im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis ohne (erneute) Untersuchung der Fahreignung. Das gilt nicht nur dann, wenn dem Inhaber zuvor im Inland die Fahrerlaubnis entzogen worden, eine für die Neuerteilung verhängte Sperrfrist jedoch abgelaufen ist, sondern erst recht dann, wenn mit der Entziehung eine Sperrfrist gar nicht verbunden war.
BeschlussDatum: 28.09.2006, Aktenzeichen: C-340/05 [Kremer] NJW 2007, 1863
Der im EU-Ausland außerhalb einer Sperrfrist erworbene Führerschein ist anzuerkennen, auch ohne dass der Inhaber die Bedingungen erfüllt, die nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis erfüllt sein müssen. Ein solcher Führerschein muss jedoch dann nicht anerkannt werden, wenn er während einer inländischen Sperrfrist erworben wurde, oder wenn aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder aufgrund anderer, vom Ausstellerstaat herrührender unbestreitbarer Informationen feststeht, dass der Inhaber bei Erwerb dieses Führerscheins seinen Wohnsitz nicht im Ausstellerstaat hatte.
Urteilsdatum: 26.06.2008. Aktenzeichen: C-329/06 [Wiedemann u. Funk] & C-343/06Fundstelle: NJW 2008, 2403.
Die Erkenntnisquellen, aufgrund derer die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abgelehnt werden darf, sind in dem Beschluss vom 26.06.2008 (Wiedemann u. Funk) abschließend aufgezählt: „vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen.“ Deshalb darf die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses weder aus eigenen Erklärungen des Erlaubnisinhabers im Verwaltungsverfahren geschlussfolgert werden, noch aus einer Erklärung des Ausstellermitgliedstaats, wonach der Wohnsitz bei Ausstellung des Führerscheins nicht geprüft worden ist.
Beschluss vom 09.07.2009; Aktenzeichen: C-445/08 [Kurt Wierer] Fundstelle: NJW 2010, 217.
Die Anerkennung des einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins darf nicht aufgrund eines Fahreignungsgutachtens [in Deutschland: MPU] abgelehnt werden, wenn dieses Gutachten zwar nach dem Zeitpunkt der Ausstellung des ausländischen Führerscheins erstellt wurde, sich aber ausschließlich auf vor diesem Zeitpunkt liegende Umstände bezieht.
Beschluss vom 02.12.2010; Aktenzeichen: C-334/09 [Frank Scheffler]. Fundstelle: NJW 2011, 587
Als Grund für die Weigerung, einen im EU-Ausland erworbenen Führerschein anzuerkennen, genügt es nicht, dass der Betroffene zuvor im Inland erfolglos versucht hatte, eine Fahrerlaubnis zu erwerben, die ihm jedoch versagt wurde [keine analoge Anwendung der Ausnahme für Fälle der Entziehung einer Fahrerlaubnis]. Ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis liegt nicht schon dann vor, wenn ein Unionsbürger seinen Wohnsitz deshalb in einen anderen EU-Mitgliedsstaat verlegt, weil er ausnutzen will, dass die dortigen Vorschriften über die Erteilung von Führerscheinen weniger streng sind, sondern nur dann, wenn er sich dort in Wahrheit nur kurz aufhält und die Wohnsitzverlegung rein fiktiv ist.
Urteil vom 01.03.2012; Aktenzeichen: C-467/10 [Baris Akyüz]; Fundstelle: NJW 2012, 1341.
Einem im EU-Ausland erworbenen Führerschein darf die Anerkennung nicht deshalb versagt werden, weil im Inland eine Fahrerlaubnis entzogen und für die Neuerteilung eine Sperrfrist verhängt worden war, wenn bei Erwerb des ausländischen Führerscheins die Sperrfrist abgelaufen und das Wohnsitzerfordernis erfüllt war.
Urteil vom 26.04.2012; Aktenzeichen: C-419/10 [Hofmann] Fundstelle: NJW 2012, 1935
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgestellten Führerscheine grundsätzlich ohne jede Formalität anzuerkennen seien. Von diesem Grundsatz kann nur unter engen Voraussetzungen abgewichen werden, so u.a. dann, wenn der neue Führerschein unter Missachtung der in der sog. Führerschein-Richtlinie aufgestellten Wohnsitzvoraussetzungen ausgestellt worden sei.
Darüber hinaus ist es einem Mitgliedstaat verwehrt, die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu verweigern, wenn nicht aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat (hier Polen) herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass das Wohnsitzerfordernis verletzt worden sei. Eine derartige Verletzung konnte der Senat im zu entscheidenden Fall indes nicht feststellen.
Gericht:
Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.03.2012 – 3 L 56/09, Vorinstanz: Verwaltungsgericht Magdeburg, Urteil vom 19.01.2009 – 1 A 88/08 MD
7.2 Entscheidungen in Strafverfahren
Nach Entziehung der Fahrerlaubnis im Inland berechtigt eine im EU-Ausland erteilte Fahrerlaubnis (hier: Tschechien) zwar nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland, wenn der Inhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von § 7 Abs. 1 FeV im Inland hatte und sich die diesbezüglichen Informationen entweder aus dem Führerschein selbst entnehmen lassen oder von einer Behörde des Ausstellungsmitgliedstaates stammen. Werden jedoch entsprechende Feststellungen nur auf eine entsprechende Meldebestätigung einer deutschen Behörde und/oder Aussagen des Angeklagten selbst gestützt, kann dies keine Verurteilung wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis tragen.
OLG Hamm Beschluss v. 10.09.2013 Aktenzeichen: 2 RVs 47/13
Wer nach Ablauf einer Sperrfrist im Inland ein Kraftfahrzeug führt, und dabei Inhaber einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis ist, der macht sich auch dann nicht strafbar, wenn bei Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis die Sperrfrist noch nicht abgelaufen war.
OLG München Entscheidung: Urteil Datum: 29.01.2007 Aktenzeichen: 4 St RR 222/06
Fundstelle: NJW 2007, 1152.
– ein echter „Ausreißer“ zugunsten des Betroffenen!
OLG Hamm, Urteil vom 26.9.12, A.Z. III-3 RVs 46/12 auf die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft nach Freispruch durch das AG Blomberg; AG Minden, (A.Z. 5 CS 24 Js 2o8/o7 166/o7).
Es ist nicht einfach, in den Datenbanken freisprechende Urteile von Amts- und Landgerichten zu finden. Oft versuchen die Gerichte und Staatsanwaltschaften, durch Verfahrensbeendigungen nach § 153 II StPO oder § 153a II StPO (etwa wegen einer enthaltenden Owi, vgl. z.B. AG Prenzlau, 22 Cs 279/13) ein freisprechendes Urteil zu verhindern. Im Fall des AG Helmstedt; A.Z. NZS 15 Cs 915 Js 35108/14 kam es dann, nach langer Verfahrensverzögerung, zur Rücknahme des Strafbefehls und Einstellung nach § 170 II StPO (nach Eröffnung des Hauptverfahrens!). Man mag die Rechtslage offenbar nicht wahr haben. Das geht so weit, dass die Staatsanwaltschaften, wie in dem unten zitierten Fall des AG Minden, Referendare in die Hauptverhandlungstermine schicken, um nicht selber auf Freispruch plädieren zu müssen.
8 Vertretung im Strafverfahren / Verwaltungsverfahren
Verteidigung gegen den Vorwurf § 21 StVG: Es ist frühzeitig gegenüber der Ermittlungsbehörde auf die Rechtslage hinzuweisen. Meist erfolgt Einstellung nach § 170 II StPO, freisprechende Urteile sollen offenbar vermieden werden (s.o.).
8.1 Gesichtspunkt des § 17 StGB: Verbotsirrtum
8.2 Prozessuale Besonderheiten
Folgende Problemfelder treten bei der Verteidigung in der Praxis auf.
8.2.1 Der Instanzenzug: Wie komme ich zum EuGH?
Instanzenzug im Strafverfahren
Amtsgericht
-> Berufung zum Landgericht (§ 312 StPO)
-> Revision zum Oberlandesgericht (§ 333 StPO)
oder
Amtsgericht
-> Sprungrevision zum Oberlandesgericht (§ 335 StPO)
Der Bundesgerichtshof entscheidet nie, weil Eingangsinstanz immer das Amtsgericht ist (§ 25 Nr. 2 GVG, § 21 StVG).
Jedes Gericht kann, letztinstanzliches Gericht muss an den EuGH vorlegen, wenn Gemeinschaftsrecht betroffen ist (Art. 267 Abs. 3 AEUV).
BVerfG entscheidet bei Grundrechtsverletzung (Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bei Nichtvorlage).
Instanzenzug im Verwaltungsverfahren
Widerspruchsverfahren bei der Behörde (§ 68 VwGO)
Verwaltungsgericht
-> Berufung zum Oberverwaltungsgericht (§ 124 VwGO)
-> Revision zum Bundesverwaltungsgericht (§ 132 VwGO)
oder
-> Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht (§ 134 VwGO)
Jedes Gericht kann, letztinstanzliches Gericht muss an den EuGH vorlegen, wenn Gemeinschaftsrecht betroffen ist (Art. 267 Abs. 3 AEUV).
BVerfG entscheidet bei Grundrechtsverletzung (Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bei Nichtvorlage).
Bei bereits erledigter Maßnahme: Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) bei Feststellungsinteresse (Wiederholungsgefahr oder Rehabilitationsinteresse).
8.2.2 Gericht entscheidet nicht oder stark verzögert
Mit Beschleunigungsgrundsatz wird im Prozessrecht der Grundsatz bezeichnet, dass das Verfahren so zügig wie möglich durchgeführt werden soll. Ausdruck des Beschleunigungsgrundsatzes ist z.B. § 272 ZPO. Im Strafverfahren kommt dem Beschleunigungsgrundsatz aufgrund der Erheblichkeit des Eingriffs in die Rechte des Beschuldigten eine besondere Bedeutung zu. Er ist in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK normiert. Eine überlange Verfahrensdauer muss bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigt werden. Ein Ausdruck des Beschleunigungsgrundsatzes sind im Strafprozessrecht ist 229 Abs. 1 StPO.
Was aber ist zu tun, wenn das Gericht nicht entscheidet und dem Verfahren keinen Fortgang gibt? Die Situation ist äußerst unbefriedigend, weil der Mandant nicht weiß, ob er nun mit seinem EU-Führerschein fahren darf, oder nicht. Der Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz durch eine überlange Verfahrensdauer begründete nach bish. Rspr. eine eigenständige Strafmilderung. Der Große Strafsenat des BGH (BGHSt 52, 124 ff.) hat hierzu entschieden, dass anstelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen ist, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt. Bei einem – ja prognostizierten – Freispruch greifen diese Erwägungen ins Leere. Es stellt sich daher die Frage, ob parallel eine Feststellungsklage bei dem Verwaltungsgericht erhoben werden kann, gerichtet auf Feststellung, dass die Fahrerlaubnis in Deutschland Gültigkeit hat. Das Rechtsschutzbedürfnis dürfte gegeben sein. Auch wenn das Verwaltungsgericht dieses verneint mit der Begründung, dass die Fahrerlaubnis doch bestehe, ist dem Mandanten im Hinblick auf § 17 StGB geholfen.
8.3 Vorgehen gegen Bescheid der Verwaltungsbehörde
Strafverfahren sind jedoch nicht der einzige Anwendungsbereich für die oben genannten Rechtsfragen rund um die Wirksamkeit der EU-Fahrerlaubnis. Die Führerscheinstellen können einen Feststellungsbescheid erlassen, der üblicherweise den folgenden Inhalt hat:
8.3.1 Rechtskräftiger Bescheid setzt Recht
Wichtig ist der Aspekt, dass ein rechtskräftiger Bescheid der Verwaltungsbehörde „Recht setzt“, vgl. hierzu insbesondere OVG NRW, Beschluss vom 19.12.13, A.Z. 16 B 1278/13. Das heißt, wenn ein solcher Bescheid existiert, liegt beim Fahren mit der EU-Fahrerlaubnis ein Verstoß gegen § 21 StVG vor. Folge: zunächst muss der Bescheid der Behörde angegriffen werden.
8.3.2 Öffentliche Zustellung
Äußerst praxisrelevant ist der Fall, in dem die Behörde einen Feststellungsbescheid öffentlich zustellt, weil sie lediglich Kenntnis von dem Wohnort im Ausstellerstaat haben will, der ja auf der Fahrerlaubnis vermerkt ist. Ziel dieser Vorgehensweise ist ganz offensichtlich, dass man sich auf Bestandskraft des Bescheides wegen Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist des § 70 VwGO berufen will. Dies ist unzulässig, vgl. BGH, Urteil vom 4.7.12, A.Z. XII ZR 94/10 und den beigefügten Beschluss des VG Berlin vom 12.12.14, VG 11 L 475.14, S.3.
9 Einzelfragen für das Vorgehen in der täglichen Praxis
9.1 Auswirkungen eines individuellen Rechtsgutachtens
– Schaffen der Voraussetzungen des § 17 StGB
– Aspekt des § 344 StGB, wenn wider besseres Wissen Verfahrenseinleitung erfolgt oder angeklagt wird
– Schon an der Anhaltestelle sollte dem Polizeibeamten verdeutlicht werden, dass kein Verstoß gegen § 21 StVG vorliegt, damit es erst gar nicht zur Einleitung eines Verfahrens kommt.
9.2 Umgang mit den Rechtsschutzversicherern
– Der grob falsche, gleichwohl übliche Vorhalt eines Obliegenheitsverstoßes bei Fahrten mit dem ausländischen EU-Führerschein.
– Klage auf Freistellung oder Feststellung?
9.3 Sonstiges
– Der Fahrerlaubniserwerb in Polen und anderen osteuropäischen EU-Staaten erfordert echte theoretische und praktische Prüfung. Es handelt sich nicht um einen „gekauften Führerschein.