Haftung trotz Vorfahrt?

Bei einem Verkehrsunfall trifft im Regelfall denjenigen die Haftung, der das Vorfahrtsrecht eines anderen Verkehrsteilnehmers missachtet. Jedoch gibt es auch Ausnahmefälle (Haftung trotz Vorfahrt), heute soll der Fall betrachtet werden, in dem dem Vorfahrtsberechtigten seinerseits von rechts kommenden Verkehr zu beachten hatte und die zulässige Höchstgeschwindigkeit leicht überschritten hat. Hierzu hat das Landgericht Freiburg (Urteil vom 6.7.2015 – Aktenzeichen 11 O 41/15) entschieden, dass auch in einem solchen Fall der Verstoß des Vorfahrtsberechtigten, und auch dessen Betriebsgefahr, hinter dem Vorfahrtsverstoß des anderen Kraftfahrers vollständig zurücktritt.

Das Gericht entschied, dass eine Mithaftung des Klägers sich auch nicht nach den Grundsätzen der “halben Vorfahrt“ ergibt. Hierzu wäre nach Auffassung des Gerichtes erforderlich gewesen, dass der Nachweis gelingt, dass der Vorfahrtsberechtigte sich der Kreuzung mit einer solchen Geschwindigkeit genähert hat, dass er nicht selbst auf bevorrechtigte Fahrzeuge hätte reagieren können. Zwar ist im vorliegenden Fall die leichte Geschwindigkeitsüberschreitung zu berücksichtigen gewesen. Diese Verursachungsanteile des Anspruchstellers treten aber nach Auffassung des Gerichts hinter dem erheblichen Verkehrsverstoß des Anspruchsgegners, der die Vorfahrt verletzt hatte, vollständig zurück.

Es bleibt aber dabei, dass in aller Regel der Vorfahrtsberechtigte seine Ansprüche voll ersetzt bekommt. Sofern die Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers Sie auf einen eigenen Verstoß verweist, sollten Sie dies nicht akzeptieren und ihre Forderungen – notfalls gerichtlich – beitreiben.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bei Vorliegen einer Verkehrsrechtsschutzversicherung die Geltendmachung der Ansprüche ohne Kostenrisiko erfolgen kann. Aber selbst wenn keine Verkehrsrechtsschutzversicherung vorliegt, hat im Falle eines unverschuldeten Unfalls der Unfallgegner, genauer gesagt dessen Kfz-Haftpflichtversicherung, auch die Anwaltskosten zu ersetzen. Zur Frage der Erforderlichkeit der Einschaltung eines Rechtsanwalts zur Unfallregulierung hat die Rechtsprechung zahlreiche Urteile ausgeworfen, nach denen bei nahezu jedem Verkehrsunfall der Geschädigte berechtigt ist, sich auf Kosten des Schädigers einen Anwalt zu nehmen. So beispielsweise das Amtsgericht Bielefeld (Urteil vom 3.5.2017, Aktenzeichen 411 C 37/17). Das Gericht wörtlich:

„da die Rechtsprechung zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen inzwischen unübersichtlich sowie ständigem Wechsel und Wendungen unterworfen ist, berechtigt nahezu jeder Verkehrsunfall den Geschädigten, sich anwaltlichen Beistandes zu bedienen“

Dies galt in dem entschiedenen Fall sogar, obwohl der Geschädigte im wirtschaftlichen Verkehr tätig ist. Begründet wurde es an dieser Stelle damit, dass der Schwerpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nicht auf juristischem Gebiet liegt.

Im Ergebnis kann somit erneut festgestellt werden, dass bei einer Unfallregulierung stets der Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers zur Übernahme auch der Anwaltskosten verpflichtet ist.