Psychische Unfallfolgen – wann muss die Versicherung Schmerzensgeld zahlen?

(Oranienburg) Bei jedem Anspruch aus einem Verkehrsunfall muss der Geschädigte darlegen, dass die eingetretenen Unfallfolgen auch auf dem Verkehrsunfall beruhen. Dies gilt nicht nur für Schmerzensgeld aufgrund körperlicher Schäden, sondern in besonderem Maße auch für die psychischen Verletzungen. Heute soll es um die Frage gehen, welche Darlegungen durch den Geschädigten bzw. seinen Rechtsanwalt erfolgen müssen, damit der Anspruch erfolgreich durchgesetzt werden kann.

Wichtig ist zunächst die Unterscheidung zwischen den sogenannten Primärverletzungen und Sekundärverletzungen. Je nachdem um welche der beiden Kategorien es sich handelt, bestehen unterschiedliche Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast.

Bei den sogenannten Primärverletzungen gilt der Strengbeweis des § 286 ZPO. Dies bedeutet, dass die Darlegung der behaupteten Verletzung bei dem entscheidenden Gericht zu einem solchen Grad der Gewissheit geführt haben muss, der – jetzt kommt eine wichtige Formulierung des Bundesgerichtshofes (BGH) – „den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie ganz verstummen zu lassen“. Hierzu ist das Grundsatzurteil des BGH vom 28.1.2003 zum Aktenzeichen VI ZR 139/02 ergangen, das die o.g. Formulierung zum Maßstab erhebt. Und dem folgen die Instanzgerichte in Deutschland seitdem. Es wird hier also ein hoher Anspruch an die Darlegungen gestellt. Irgendein Grad von „Wahrscheinlichkeit“ reicht jedenfalls an dieser Stelle nicht aus. Wenn nun aufgrund des Unfallereignisses eine psychische Beeinträchtigung eingetreten ist und nach dem Strengbeweis des § 286 ZPO bewiesen werden konnte, ist weiterhin eine bestimmte Schwelle von Erheblichkeit zu beachten. Die psychische Beeinträchtigung muss nämlich aus medizinischer Sicht einen Krankheitswert erreichen (vgl. z.B. Urteil des BGH vom 20.3.12 zum A.Z. VI ZR 114/11). Sie müssen damit pathologisch fassbar sein. Dies ist zum Beispiel nicht der Fall bei einer „normalen psychischen Verarbeitung“ des Unfallereignisses, selbst wenn im Rahmen dieser Verarbeitung vereinzelt Schlafstörungen oder Schweißausbrüche auftreten.

Wenn aber hinsichtlich einer Unfallfolge der erste Verletzungserfolg (oder Primärschaden) bewiesen werden kann, ist für die sog. Sekundärverletzungen (auch genannt Folgeschäden) eine Beweiserleichtung vorgesehen. Für die Folgeschäden reicht es dann aus, dass die psychische Beeinträchtigung und die Ursächlichkeit des Unfalles für diese Verletzung mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ anzunehmen ist. Was heißt dies nun? Ganz einfach, die psychische Folge und deren Unfallbedingtheit muss „wahrscheinlicher sein, als die Annahme des Gegenteils“ (vgl. BGH, Urteil vom 12.2.08, A.Z. VI ZR 221/06).

Psychische Unfallfolgen – welche gibt es denn nun? Hier ist zunächst die Posttraumatische Belastungsstörung zu nennen Die medizinische Diagnoseziffer (sog. ICD-Code) für diese Erkrankung lautet: ICD 10 F 43.1. Diese zeichnet sich durch das immer wieder erleben des Ereignisses und anhaltende, sich immer wieder aufdrängende Erinnerungen daran aus. Man spricht dann von Nachhallerinnerungen oder auch Flashbacks. Häufig sind bei den Betroffenen auch Alpträume, die mit dem Erlebten zusammenhängen, oder Schlafstörungen an sich.

Eine weitere große Fallgruppe ist die der sog. Anpassungsstörungen (Diagnoseziffer / ICD-Code: ICD 10 F 43.2). Diese besteht in einer ungewöhnlich starken Reaktion auf das Erlebte, die zu einer Beeinträchtigung im sozialen und beruflichen Lebensbereich führt. Die vorstehenden Ausführungen stellen die Themenkreise natürlich nur grob und skizzenhaft dar. Schließlich ist eine häufige Folge von Unfällen die Somatoforme Schmerzstörung (ICD 10 F 45.4), bei der der Geschädigte die Vorstellung entwickelt, unter starken Schmerzen oder sonstigen Beeinträchtigungen zu leiden. Eine häufige Erscheinungsform ist hier die depressive Episode (ICD F 32). In diesem Themenbereich tun sich ganz besondere Abgrenzungsschwierigkeiten auf, denn nach statistischen Erhebungen leidet etwa ein Viertel der Deutschen Bevölkerung unter einer solchen Beschwerde im Laufe ihres Lebens – und zwar ganz ohne erlittenen Unfall. Schwierig, aber erforderlich ist somit die Darlegung der Unfallbedingtheit der Beschwerden nach den dargestellten Kriterien.

Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärverletzungen ist nach allem von großer Bedeutung, wenn ein Anspruch wegen psychischer Schäden erfolgreich durchgesetzt werden soll. In der Praxis wird für die Beurteilung der zuvor genannten Voraussetzungen stets ein Sachverständiger eingeschaltet.

Anzumerken ist hierzu noch, dass die Versicherer häufig Ermittlungen durch Privatdetektive im Lebensbereich des Betroffenen durchführen. Diese verdeckten Ermittlungen dienen dem Zweck, die behaupteten psychischen Beeinträchtigungen des Geschädigten im sozialen und beruflichen Bereich zu widerlegen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Dr. Henning Karl Hartmann (Oranienburg)