Der Straftatbestand der Unfallflucht gehört zu den problematischsten im deutschen Verkehrsrecht. Eine Vielzahl von Verfahren wird gegen Autofahrer eingeleitet, die sich nach einem geringfügigen Zusammenstoß von dem Ort der Kollision entfernen und sodann später mit einem Strafverfahren konfrontiert werden, das existenzbedrohende Ausmaße annehmen kann. Denn Paragraf 142 StGB (Strafgesetzbuch) sieht im Falle der Verurteilung eine Entziehung der Fahrerlaubnis vor, wenn ein bedeutender Fremdschaden vorliegt (§ 69 II Nr. 3 StGB). Rechtlich ist die Problematik der Wahrnehmbarkeit des Unfalls von Bedeutung. Der Betroffene muss nämlich vorsätzlich gehandelt haben. Dies bedeutet, dass er den Unfall wahrgenommen haben muss und sich dennoch von der Unfallstelle entfernt hat. Die Grenze für einen Unfall liegt hierbei denkbar niedrig: bereits ab 50 € (dies ist ein kleiner Kratzer) kann sie überschritten sein. Der erste Ansatzpunkt bei der Verteidigung ist damit die tatsächliche Wahrnehmbarkeit des Anstoßes. Unterschieden werden muss zunächst nach der Wahrnehmungsfähigkeit des Beschuldigten und der tatsächlichen Wahrnehmbarkeit. Persönliche Einschränkungen des Beschuldigten sind zu berücksichtigen.
Jedoch muss an dieser Stelle Vorsicht walten, wenn man sich für den Betroffenen als Verteidiger dahingehend einlässt, dass er aufgrund etwa Alters oder Schwerhörigkeit den Zusammenstoß nun einmal nicht bemerken konnte. Wenn hier die mangelnde Wahrnehmung des Mandanten zu sehr in den Vordergrund gestellt wird, kann die Ermittlungsbehörde beziehungsweise die Staatsanwaltschaft die Angelegenheit der Fahrerlaubnisbehörde melden. Wenn dort sodann Zweifel an der Fahreignung bestehen, kann die Fahrerlaubnisbehörde ein Gutachten durch einen Arzt oder auch die Beibringung einer MPU (Fahreignungsgutachten) anordnen. Dann hat der Verteidiger dem Mandanten durch seinen Vortrag keinen Dienst erwiesen. Eine eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit wurde in der Rechtsprechung auch schon unter dem Aspekt der Einschränkung durch Alkoholgenuss diskutiert. Entsprechendes kann auch für den Fall der Medikamenteneinnahme gelten und die Wahrnehmbarkeit des Unfalls kann auch aufgrund innerer Einflüsse wie Stress, Angst oder äußerer Einflüsse ausgeschlossen sein.
Ziemlich häufig ist auch der Fall, dass aufgrund laut angestellter Radiomusik keine akustische Wahrnehmung erfolgen konnte. Sodann bleibt aber noch die Möglichkeit, d en Unfall optisch oder auch taktil wahrgenommen zu haben. Das Gericht muss hierbei klar trennen zwischen subjektiven Einschätzungen und objektiv messbaren Fakten. Denn es kommt wie gesagt darauf an, was der betroffene Fahrer des Pkw, also der Angeklagte wahrgenommen hat.
Ergibt sich dementsprechend aus der Ermittlungsakte – wie häufig – , dass ein Zeuge angegeben hat, er habe in der Nähe gestanden und der „Knall sei laut“ gewesen, so dass der Mandant diesen habe wahrnehmen müssen, bedeutet dies für die Strafbarkeit des betroffenen Fahrers zunächst rein gar nichts. Denn der Zeuge ist regelmäßig gänzlich anderen Umweltgeräuschen ausgesetzt, als der sich im Fahrzeug befindliche Angeklagte. Meist kommt es im Prozess daher auch zur Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage der Wahrnehmbarkeit. Hieraus folgt, dass ein Gericht in der Regel nicht lediglich aufgrund von Zeugenaussagen zur Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalls verurteilen darf, wenn dieser sich einlässt in Richtung einer fehlenden Wahrnehmungsmöglichkeit. Sodann ist ein Sachverständigengutachten vom Gericht gemäß Paragraf 244 II StPO (Strafprozessordnung) einzuholen. Es sollten jedoch auch Beweisanträge durch den Verteidiger gestellt werden, damit erforderlichenfalls die Revisionsinstanz das Amts- oder Landgerichtliche Urteil korrigieren kann.
Die Kosten für die Begutachtung trägt die Verkehrsrechtsschutzversicherung. Allerdings kann im Falle einer (Vorsatz-) Verurteilung der Versicherungsnehmer in Regress genommen werden.
Ein weiterer Ansatz zum Ausschluss des Vorsatzes ist der zwar bemerkte, aber als unerheblich eingeschätzte Schaden. Es muss nämlich konkret festgestellt werden, dass ein entsprechendes Schadensbild vorliegt, um auszuschließen, dass der Unfallverursacher Beschädigungen übersehen hat, ohne dass ihm zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten anzulasten ist. Denn der Vorsatz muss sich auch darauf erstrecken, dass es überhaupt zu einem Unfall gekommen ist. Der Täter muss erkannt oder wenigstens mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass ein nicht ganz unerheblicher Schaden entstanden ist. Nicht erforderlich ist die genaue Kenntnis von der Art des verursachten Schadens, wie mehrere Oberlandesgerichte zwischenzeitlich ausgeurteilt haben. Es reicht nicht aus, dass der Angeklagte die Entstehung eines nicht unerheblichen Schadens hätte erkennen können, denn damit wäre nur der Beweis von Fahrlässigkeit erbracht. Hat der Angeklagte den Unfall zwar wahrgenommen, sich aber von der Unfallstelle entfernt, ohne das Schadensbild anzusehen, müssen die Urteilsausführungen Feststellungen enthalten, die in einem für das Revisionsgericht nachprüfbaren Umfang die Annahme rechtfertigen, dass er sich hierbei trotz des nicht wahrgenommenen Schadensbildes vorgestellt hat, durch das Berühren des anderen Fahrzeuges sei möglicherweise ein nicht ganz unerheblicher Schaden entstanden. Dabei genügt für die Annahme bedingten Vorsatzes. Ausreichend ist damit die Vorstellung, an einer Kollision mit einem solchen Schaden beteiligt gewesen zu sein.