Verkehrsverstoß eines „Gaffers“

Das sogenannte Augenblicksversagen spielt im Straßenverkehrsrecht eine erhebliche Rolle. Die Anordnung eines Fahrverbotes ist nämlich dann nicht angezeigt, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit beruht, die jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann. In solchen Fällen des Augenblicksversagens indiziert zwar der in der Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) beschriebene Regelfall immer noch das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung, es fehlt dann jedoch an der individuellen Vorwerfbarkeit. Ein Fahrverbot ist aber nur dann zu verhängen, wenn der vorgeworfene Verstoß auch aus Sicht des Autofahrers auf besonders grobem Leichtsinn, Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht. Dann ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, VRS 100, 460ff.) auch auf den Betroffenen durch einen ausdrücklichen Denkzettel, nämlich in Form eines Fahrverbotes, einzuwirken.

Was ist nun in dem Fall, in dem der Fahrzeugführer in seiner Aufmerksamkeit von einem liegen gebliebenen Fahrzeug ablenken lässt und dadurch das Rotlicht einer Ampel übersieht? Hiermit hatte sich das oben bereits angesprochene OLG Karlsrufe in einer Entscheidung vom 10.10.2006 (A.Z. 1 Ss 69/06) auseinander zu setzen. Um es vorweg zu nehmen: Das Gericht hat hier das Fahrverbot verhängt. Zwar sei tatsächlich davon auszugehen, dass sich unmittelbar vor der Ampel auf der rechten Fahrspur ein liegen gebliebener, defekter Lkw mit eingeschalteter Warnblinkanlage befand und der betroffene Autofahrer bei Vorbeifahren auch durch diesen abgelenkt war, so dass er das Rotlicht übersah. Dieser Wahrnehmungsfehler entlastet den Betroffenen nach Auffassung des OLG jedoch nicht. Es liege grobe Pflichtwidrigkeit auch in diesem Fall vor. Wer etwa während der Fahrt sein Autotelefon benutzt, intensiv auf Wegweiser achtet oder in einen Kreuzungsbereich zu schnell einfährt, kann sich auch nicht darauf berufen, er habe nur versehentlich ein Verkehrszeichen nicht wahrgenommen. Denn zu seiner Unaufmerksamkeit hat der Autofahrer ja durch sein vorheriges Verhalten selber beigetragen. Auch im Falle des „Gaffers“ hat dieser nach Auffassung des Gerichtes dadurch, dass er dem beschädigten Lkw eine derart starke Aufmerksamkeit widmete, die notwendige Sorgfalt nicht angewendet. Ein solches Verhalten stelle aber nicht nur eine leichte Unaufmerksamkeit dar, sondern einen groben Verkerhrsverstoß.

Der Verfasser dieses Artikels ist Rechtsanwalt Dr. Henning Karl Hartmann, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltsverein (DAV).
Die Kanzlei Dr. Hartmann & Partner betreibt Büros in Berlin und Oranienburg (Tel. 03301 – 53 63 00).