Verteidigungsansatz: Akteineinsichtsrecht im Bußgeldverfahren

Heute geht es um einen wichtigen Verteidigungsansatz, nämlich dem Akteineinsichtsrecht im Bußgeldverfahren

Bei der Mehrheit der Bußgeldverfahren (auch genannt: Ordnungswidrigkeitenverfahren) handelt es sich um den Vorwurf eines Geschwindigkeitsverstoßes. Da es hier um viel gehen kann, nämlich den Führerschein, hat man als Verkehrsanwalt an dieser Stelle anspruchsvolle Aufgaben zu erfüllen, wenn die Verteidigung optimal betrieben werden soll.

Auch im Bußgeldverfahren muss sich die ermittelnde Behörde, wie im Strafverfahren, an bestimmte Regeln halten. Tut sie dies nicht, kann keine Verurteilung erfolgen. In letzter Zeit ist nun das Thema Akteneinsichtsrecht „heiß“ geworden, hier kann viel erreicht werden. Denn wenn die Behörde – aus welchen Gründen auch immer – keine vollständige Akteneinsicht gewährt, kann keine Verurteilung erfolgen. Das Verfahren muss eingestellt werden (Folge: keine Punkte, kein Fahrverbot).

Genau hier setzt der Verteidiger an.

Nur mit umfassender Kenntnis des Akteninhalts ist es dem Verteidiger möglich, hinreichend beurteilen zu können, ob und welche Beweisanträge gestellt werden und wie die Verteidigung zu führen ist. Dieses Recht auf Akteneinsicht folgt aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens (Art. 20 III Grundgesetz und Art. 6 I EMRK). Das Zurverfügungstellen der Messunterlagen zur Prüfung der Richtigkeit der Messung ist auch bei sogenannten standardisierten Messverfahren nach der Rechtsprechung des BGH Grundbedingung, um überhaupt zu einer Anerkennung des Messverfahrens zu kommen (BGHSt 39, 291 (298) i.V.m.. BGHSt 28, 235 (239). Oberlandesgerichte und Amtsgerichte haben diese Rechtsprechung in der Vergangenheit häufig ignoriert, so dass es kürzlich sogar einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes bedurfte (Fundstelle weiter unten).

Mit den bruchstückhaft übermittelten Akten der Bußgeldstellen kann also in einem Verfahren der Verurteilung entgegen getreten werden. Zunächst sollte ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) gestellt werden. Dies noch im Vorverfahren, also direkt nach Gewährung der f(unvollständigen) Akteneinsicht. Führt dies nicht zum Erfolg, ist der Einsichtsantrag in der Hauptverhandlung zu wiederholen. Denn so wird das Gericht gezwungen, einen Beschluss i.S.v. § 238 II StPO zu erlassen, der dann später (im Rechsbeschwerdeverfahren) die Möglichkeit der Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung ermöglicht (§ 79 III S.1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO). Sodann ist mit der Verfahrensrüge die Verletzung des Einsichts- und Offenlegungsrechts (Art. 20 III Grundgesetz und Art. 6 I EMRK) geltend zu machen.

Hier ein Formulierungsvorschlag für den Antrag an die den Vorgang verfolgende Behörde:

„In dem Verfahren gegen ….. x y …. habe ich unter dem …. vollständige Akteneinsicht beantragt und insbesondere auch beantragt, mir zur Einsicht folgende Unterlagen zuzuleiten:

  • kompletter Messdatensatz (Messfilm, Messsequenz)
  • Roh(mess)daten
  • Bedienungsanleitung
  • Lebensakte (wenn vorhanden), anderenfalls Erklärung, dass keine eichrelevanten Reparaturen stattfanden, wobei die Erklärung zeitlich bis zum Zeitpunkt der Erklärung zu wirken hat,
  • verifizierbarer Nachweis zur Auswerte-Software.

Binnen gesetzter Frist bzw. bis heute sind Sie, die zuständige Behörde dem nicht nachgekommen.

Im Hinblick auf die verwehrte Akteneinsicht beantrage ich die gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG und Abgabe der Akten an das zuständige Amtsgericht.

Begründung.

Der Verteidiger ist zur Vorbereitung einer Einlassung und sachdienlicher Anträge darauf angewiesen, Zugang zu allen Messunterlagen und zu den für die Kontrolle der Messwertbildung erforderlichen Messdaten zu erhalten (vgl. Cierniak zfs 2012, 664ff.). Dazu gehört auch der komplette Messdatensatz, da nur durch diesen eine Überprüfung etwaiger gehäufter Fehlmessungen oder auch ein Verrücken des Messgerätes, verbunden mit dem Erfordernis des Neustarts, möglich ist. Dies entspricht dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit. Hernach müssen sich stets diejenigen Unterlagen bei den Akten befinden, auf die der Schuldvorwurf gestützt wird (vgl. u.a. VerfGH Saarland, Beschl. v. 27.4.18 – A.Z.: Lv 1/18 (DAR 2018, 557); LG Aachen, Beschl. v. 12.7.18 – A.Z.: 66 Qs 31/18; Meyer-Goßner, § 147 StPO RN 14ff; Cierniak/Niehaus DAR 2018, 541 ff.), sowie dem Gebot des fairen Verfahrens (vgl. Cierniak a.a.O.; Cierniek/Niehaus a.a.O.).