Nach einem Unfall holt der Geschädigte ein Schadensgutachten ein, um seine Schäden beziffern zu können. Ob er dann repariert oder nicht, ist seine freie Entscheidung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diesen Grundsatz in einer sogleich zu besprechenden Entscheidung erneut wie folgt klargestellt:
„Nach der Rechtsprechung besteht ein Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich
– voll,
– minderwertig oder
– überhaupt nicht
reparieren lässt“ (vgl. u.a. BGHZ 155, 1, 3)
So weit, so klar. Immer häufiger kürzen die Versicherer die Schadenspositionen dann aber trotzdem zusammen. Sehr beliebt ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf eine mit dem Versicherer in Kooperation stehende Alternativwerkstatt, wenn der Geschädigte auf Grundlage eines Gutachtens (das wird dann „fiktive Abrechnung“ genannt) abrechnet.
Um es vorweg zu nehmen: dies ist in aller Regel unzulässig. Der BGH hat nun in seiner Entscheidung vom 28.4.15 (Aktenzeichen: VI ZR 267/14) genau ausgeführt, in welchen engen Grenzen ein solcher Verweis möglich ist, und wann nicht. Hierbei wurde ein Urteil des selben Senats aus dem Jahre 2010 ausdrücklich bestätigt (damals BGH VI ZR 337/09 = VersR 2010, S. 1097 RN 7 ff.). Ausgangspunkt ist die Schadensminderungspflicht, gesetzlich geregelt in § 254 II BGB.
Unzumutbarkeit
Ein Verweis ist in den Fällen von vornherein unzumutbar, in denen der Geschädigte entweder ein noch junges Fahrzeug hat (die Grenze verläuft bei ca. drei Jahren), oder aber in der Vergangenheit sein Fahrzeug in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen (vgl. hierzu u.a. BGH VI ZR 259/09 = VersR 2010, S. 1380 RN 8). Ist einer dieser Aspekte einschlägig, geht der Verweis von vornherein ins Leere.
Räumliche Nähe
Im Rahmen der Schadensminderungspflicht kann der Versicherer weiterhin nur dann auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit verweisen, wenn diese zum einen mühelos und ohne weiteres zugänglich ist. Sobald die vorgeschlagene Werkstatt weiter als etwa 25km entfernt ist (vgl. hierzu BGH zfs 2010, S. 494 RN 30), ist das Alternativangebot ohne Bedeutung. Hieran scheitern schon einige Verweisungen.
Absolute Gleichwertigkeit der Reparatur
Aber damit geht es erst los. Wenn der Versicherer also eine solche, nahe gelegene Werkstatt benennen konnte, muss er im Rechtsstreit darlegen und beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt absolut entspricht. Hier sind Urteile bekannt, in denen dies z.B. verneint wurde, weil in der Alternativwerkstatt von den Mechanikern nicht mit Komplettoveralls (zur Vermeidung von Kratzern) gearbeitet wurde, bei Mercedes Benz aber schon. Und nochmals: die vollständige Gleichwertigkeit hat der Versicherer zu beweisen. Für den Geschädigten reicht ein Bestreiten der Gleichwertigkeit aus.
Sonderkonditionen des Haftpflichtversicherers?
Aber damit nicht genug. Der BGH führt weiter aus, dass eine Reparatur in der „freien Werkstatt“, auf die der Versicher verweist, dann unzumutbar ist, wenn diese nur deshalb günstiger ist, weil es eine vertragliche Vereinbarung mit dem Haftpflichtversicherer gibt, sprich wenn diesem Sonderkonditionen eingeräumt wurden. Und es geht noch weiter: Der Haftpflichtversicherer hat hierbei zu beweisen, dass die von ihm benannte „freie Fachwerkstatt“ für die Reparaturen am Fahrzeug des Geschädigten ihre marktüblichen, das heißt allen Kunden zugänglichen Preise zugrunde legt. Begründet wird dies damit, dass dem Geschädigten anderenfalls seine Ersetzungsbefugnis (aus § 249 II S.1 BGB folgend) genommen würde, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eröffnet und ihn davon befreit, die beschädigte Sache dem Schädiger oder einer von diesem ausgewählten Person zur Reparatur anvertrauen zu müssen (vgl. hierzu u.a. BGHZ 183, 21 Rn 13; BGH VI ZR 337/09 = VersR 2010, S. 1097 RN 7).
Fazit
In aller Regel kann der eintrittspflichtige Versicherer nicht auf Alternativwerkstätten verweisen. Eine Kürzung der auf Grundlage eines Gutachtens gestellten Ansprüche ist NICHT möglich. Sie sollten daher keinerlei Kürzungen akzeptieren und anwaltlichen Rat einholen. Erforderlichenfalls muss die Forderung eingeklagt werden.
Abschließend noch ein Hinweis aus meiner Praxis. Ich bin inzwischen – eben wegen der immer wieder erfolgenden Kürzungsversuche – dazu übergegangen, als erstes die Klageschrift zu entwerfen. Diese wird dem Versicherer im Entwurf übersandt und ihm die Möglichkeit gegeben, außergerichtlich zu zahlen. Dies mit dem Hinweis, dass die Klageschrift im Falle der nicht rechtzeitigen Zahlung unterschrieben und eingereicht wird. Dies wirkt: Der Versicherer erkennt, dass man „es ernst meint“. Meist folgt dann anstandslos und vollständig die Zahlung.