Der manipulierte Unfall

In diesem Beitrag geht es um ein heiß diskutiertes Thema: Der manipulierte Unfall und seine unterschiedlichen Erscheinungsformen.

Es werden in Deutschland täglich einige Verkehrsunfälle gestellt, um erhöhte Schadensersatzforderungen zu kassieren. Eine gute Frage ist natürlich, wie viele es in Wirklichkeit sind. Warum wir das nicht wissen? Eben weil es in vielen Fällen nicht „rauskommt“, die Tat also unentdeckt bleibt. Beziehungsweise die Tat gelingt, also Zahlungen von Versicherern erlangt werden, obwohl der Unfall kein Zufallsprodukt, sondern im Gegenteil volle Absicht war.

Der manipulierte Unfall

Zunächst sollen die geläufigsten Modelle von Betrügereien mit Unfällen dargestellt werden.

1.) Der gestellte Unfall

Das Schadensereignis ist in dieser Fallgruppe tatsächlich erfolgt, war aber zwischen den Beteiligten verabredet in (sogenannte „Autobumser-Fälle“). Zwei Beteiligte fahren mit ihrem Fahrzeug gegeneinander. Wenn man so will die einfachste Variante.

Hierbei gibt es aber noch eine Untervariante, das sogenannte „Berliner Modell“. Hierbei entwendet der Schädiger zunächst ein fremdes Fahrzeug, um mit diesem dann – wie mit dem Geschädigten zuvor verabredet – in dessen Fahrzeug hinein zu fahren und sich danach vom Unfallort zu entfernen. Auf diese Weise soll der Versicherer eines unbescholtenen Dritten in Haftung genommen werden. Wenn man so will, ist diese Tatweise also doppelt verwerflich .

2.) Der provozierte Unfall

Hierbei ist das Schadensereignis tatsächlich erfolgt und war vom Schädiger auch nicht beabsichtigt. Der Geschädigte hat es jedoch bewusst provoziert. Zum Beispiel durch ein überraschendes Abbremsen oder durch Einbiegen von einer Vorfahrtsstraße an einer unübersichtlichen Stelle. Auch hier gibt es übrigens ein sog. „Berliner Modell“, das häufig rund um die Siegessäule praktiziert wurde. Bei verwirrender Fahrbahnführung in einem Kreisverkehr wird der fehlerhafte Spurwechsel des Unfallgegners ausgenutzt, um es zur Kollision kommen zu lassen.

3.) Der fingierte Unfall

Man nennt diese Variante auch Papierunfall. Hierbei gibt es den Unfall nur „auf dem Papier“, ein Altschaden oder ein insgesamt erfundener Schaden wird im Zusammenwirken von angeblich Geschädigtem und angeblichem Schädiger zu Lasten des Versicherers als angeblicher Unfallschaden abgerechnet .

4.) Der ausgenutzte Unfall

Das Schadensereignis ist in dieser Fallgruppe tatsächlich erfolgt und war von beiden Seiten auch nicht gewollt. Bei der Abrechnung nutzt der Geschädigte jedoch die Situation, um Vorschäden mit abzurechnen. Er will also mehr Schäden geltend machen, als tatsächlich entstanden sind.

Indizien für einen manipulierten Unfall

Und nun wird es juristisch spannend. Denn dass, wenn ein manipulierter Unfall vorliegt, keine Zahlungspflicht entsteht, ist klar. Aber da kaum ein Täter die Manipulation einräumen wird, stellt sich die Frage: Welche Indizien und welche Wahrscheinlichkeit ist erforderlich, damit die Annahme eines manipulierten Unfalls gerechtfertigt ist? (Mit der Folge, dass nicht gezahlt werden muss).

Man kann es sich denken, die deutschen Gerichte haben hier schon fleißig entschieden und Parameter gebildet. Zunächst die Schlüsselnorm, an der alles aufgehängt ist: 286 ZPO. Hier ist das erforderliche Beweismaß angesprochen. Die Rede ist vom sogenannten „Strengbeweis“.

Zurück zum manipulierten Unfall. Die Rechtsprechung lässt hier bestimmte Indizien zum Tragen kommen, die bei der Überzeugungsbildung des Tatrichters bei der Anwendung von § 286 ZPO eine Reihe von möglichen Beweisanzeichen herausbildet, die sodann in folgende Gruppen bzw Anzeichen unterteilt werden können:

– Unfallhergang (z.B. Streifkollision, keine gefährliche Situation)

– Beteiligte Personen sind einander bekannt

– Die wirtschaftliche Verhältnisse der Beteiligten überschneiden sich, oder sie sind bereits zuvor einschlägig in Erscheinung getreten

– Beteiligte Fahrzeuge und insbesondere das beschädigte Auto ist hochwertig, aber erst kürzlich erworben worden

– Äußere Umstände des Unfalls (Uhrzeit Lichtverhältnisse, keine Zeugen)

– Unfallfolgen: nur oberflächlicher Sachschaden, keine ernsthaften Personenschäden

– Das Verhalten nach dem Unfall: Es wird keine Polizei gerufen und die Verursachung wird sofort unstreitig gestellt, obwohl sie möglicherweise streitig gewesen sein könnte.

– Fiktive Abrechnung: Ein immer erforderliches Indiz. Kein ernsthaft herangehender Betrüger lässt das Fahrzeug reparieren, sondern es wird stets auf Grundlage eines Gutachtens abgerechnet.

Eine wichtige Erkenntnis

Soweit die Indizien. Und wozu führt das dann? Zunächst eine ganz wichtige Erkenntnis: Der bloße Verdacht der Unfallmanipulation setzt nicht die Regeln zum Darlegen und Beweisen nach der ZPO außer Kraft. Die allgemeinen Regeln über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast dürfen nicht auf der prozessualen Ebene durch übersteigerte Anforderungen an die Substantiierung oder durch herabgesenkt Anforderungen an das Beweismaß unterlaufen werden.

Und  dann hat der BGH in seiner Entscheidung vom 1.10.19 (A.Z.: VI ZR 164/18) „Butter bei die Fische“ gegeben. Es ging um einen Fall, in dem der Betreiber eines Autoscooters auf einem Schützenfest zunächst erfolglos versuchte, aus einem Unfall, der „zum Himmel stank“ (ein Pkw war in den Autoscooter hinein gefahren) Ansprüche geltend zu machen. Der BGH korrigierte Landgericht und OLG, also die ersten beiden Instanzen. Folgende Grundaussagen kann man sich merken:

– Der Kläger hat grundsätzlich das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zu beweisen.

– Wenn aber der Beklagte einwendet, es habe sich um einen manipulierten Unfall gehandelt, so hat er dies darzulegen und – ebenfalls nach § 286 ZPO – zu beweisen.

–  Und nun zum Kernpunkt. Wie sicher muss sich das Gericht sein, dass der Unfall manipuliert war? Hier die Antwort. Der Grad der Überzeugungsbildung setzt zwar nicht „mathematisch lückenlose Gewissheit“ voraus, eine bloße Häufung von Beweisanzeichen (s.o.) reicht aber auch nicht aus.
In verständlichen Worten ausgedrückt: es ist keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, aber sehr wohl ein „für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet“.

Eine schwülstige Formulierung, zugegeben. Aber bei dieser – schwierigen! – Rechtsfrage wohl eine brauchbare Definition. Was meinen Sie? Schreiben Sie uns!