Wohnsitz und EU-Führerschein – OVG NRW: Rückmeldung „unknown“ kein Beleg für Wohnsitzverstoß!

Neue Rechtsprechung zur Frage Wohnsitz und EU-Führerschein. Heute gibt es erneut Positives aus der Rechtsprechung zum Thema Gültigkeit des EU-Führerscheins zu berichten! Der EU-Führerschein hat bekanntlich grundsätzlich in Deutschland Gültigkeit, egal in welchem Land er erworben wurde. Und auch, ohne dass in Deutschland eine MPU abgelegt wurde. Voraussetzung ist unter anderem, dass kein Wohnsitzverstoß vorliegt.

Zur Ausgangslage

Dreh- und Angelpunkt für die Gültigkeit eines im Ausland erworbenen EU-Führerscheins ist dabei sehr häufig die Frage eines Wohnsitzverstoßes zum Zeitpunkt des Erwerbs. Zur Ausgangslage: Ein Wohnsitzverstoß zum Zeitpunkt des Erwerbs des EU-Führerscheins im Europäischen Ausland ist nach der klaren Rechtsprechung des EuGH nur dann zu berücksichtigen, wenn er sich

– entweder aus dem Dokument selber, oder
– aus unbestreitbaren Informationen aus dem Ausstellerstaat ergibt

Da sich selten aus dem Führerscheindokument ein Wohnsitz im Ausstellerstaat ergibt, ist der zweite Aspekt regelmäßig entscheidend.

Die vom Ausstellerstaat stammenden Informationen stellen nach der Rechtsprechung zulässigerweise den Rahmen dar, innerhalb dessen die erkennenden Stellen alle Umstände des konkreten Falles berücksichtigen dürfen (vgl. u.a. EuGH, Urt. v. 1.3.12 – C-467/10 (Baris Akyüz), NJW 2012, 1341; OVG Rh-Pfl., Beschl. v. 15.1.16 – 10 B 11099/15; BayVGH, Beschl v. 15.9.15 – 11 ZB 15, 1077).

Nur wenn ein solcher Rahmen aufgrund der vom Ausstellerstaat stammenden Informationen überhaupt zulässig eröffnet ist, kommt es auf Erkenntnisse aus dem Aufnahmestaat, somit dem deutschen Inland, an.

Das Vorgehen der Behörden

Und hier kommen die Behörden (Führerscheinstellen und Staatsanwaltschaften) häufig in unzulässiger Weise auf den Umstand, dass der Antragsteller auch im deutschen Inland gemeldet war, zu sprechen. Dies hat aber nach dem zuvor gesagten – und der diesbezüglich eindeutigen Rechtsprechung – nur dann Belang, wenn eine auf einen Wohnsitzverstoß hinweisende Informationserteilung aus dem Ausstellerstaat den „Rahmen“ für eine solche Gesamtwürdigung eröffnet hat. Ist dies nicht der Fall, sind die Ausführungen der deutschen Behörde zu den Verhältnissen im Inland regelmäßig ohne Belang und juristische Relevanz.

Immer häufiger kommt es daher zu Anfragen der Führerscheinstellen aus Deutschland an diejenige im Ausstellerstaat, in denen nach den persönlichen Verhältnissen (berufliche Tätigkeit, private Bindungen, Steuerpflicht usw.) des Betroffenen im Ausstellerstaat gefragt wird. Diese werden – wie sollte es auch sonst sein – regelmäßig gar nicht oder aber mit „unknown“, also unbekannt, beantwortet. Vor dem Hintergrund, dass die an den Ausstellerstaat formularmäßig gerichteten Fragen Themenbereiche betreffen, die für die ausstellenden Fahrerlaubnisbehörde zur Beurteilung der Wohnsitzfrage gänzlich irrelevant gewesen sind verwundert es nicht, dass diese, in Ermangelung der Relevanz für die eigene Beurteilung des Bestehens der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins, eine entsprechende Überprüfung nicht vorgenommen hat und insoweit die entsprechenden Fragen überhaupt nicht beantworten kann.

Nichts anderes hätte eine deutsche Führerscheinstelle getan: die abgefragten Informationen zu den privaten oder beruflichen Umständen des Aufenthaltes sind selbstverständlich dort nicht vorzuhalten.

Die Rückmeldung „unknown“

Es ist daher nur folgerichtig, dass die entsprechenden Fragen mit „unbekannt“ („unknown“) durch den Ausstellerstaat, vertreten durch die zuständige Fahrerlaubnisbehörde, beantwortet werden. Der Umstand, dass der EuGH seine diesbezügliche Rechtsprechung nicht aufgegeben hat sondern diese vielmehr nochmals eindeutig bekräftigte (vgl. EuGH, a.a.O.) verdeutlicht, dass eine auf einen Wohnsitzverstoß hinweisende Rechtsauslegung bei einer solchen Antwort aus dem Ausstellerstaat in diesem Punkt erheblich zu weitgehend ist. Die Auskunft des Ausstellerstaates, dass gewisse Umstände um den Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis „Unbekannt“ sind, dürfte lediglich als rechtliches Nullum, nicht jedoch als Indiz dafür gewertet werden, dass ein ordentlicher Wohnsitz zum Zeitung der Ausstellung des Führerscheins auf dem Gebiet des Aussteller Mitgliedsstaates nicht bestand (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 24.06.2014, Az.: 6 B 21/14, VG Köln, Beschl. v. 2.11.2015, Rdz. 13, jeweils m.w.N.).

Der „Rahmen“ für einen Rückgriff auf die im deutschen Inland vorliegenden Umstände ist damit in diesen Fällen von vornherein nicht eröffnet.

Die aktuelle Entscheidung

Nun hat das Oberverwaltungsgerichts Nordrhein Westfalen im Urteil vom 9.1.18 zum Az. 16 B 534/17 die dargelegte Rechtsauffassung ausdrücklich gestützt!

Zu dem oben dargelegten, vorliegend streitentscheidenden Punkt führt das OVG aus:

Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an, allerdings mit der Maßgabe, dass im Ausgangspunkt (wirklich) nur vom Ausstellermitgliedstaat herrührende und deutlich auf eine bloße Umgehung des Wohnsitzerfordernisses durch den Inhaber der in Frage stehenden EU oder EWR Fahrerlaubnis hinweisende Umstände berücksichtigt werden können.

Auch erscheint es dem Senat als zu weitgehend, das bloße Ausbleiben angeforderter ergänzender Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat etwa durch den formularmäßigen Hinweis, die näheren Umstände des Aufenthalts des Betroffenen seien unbekannt („unknown“) als Indiz für einen Wohnsitzverstoß zu bewerten. Denn der Europäische Gerichtshof hat hervorgehoben, dass auch die Erklärung der nationalen Behörden des Ausstellermitgliedstaats, sie hätten die Wohnsitzvoraussetzung nicht geprüft, nicht beweise, dass der Inhaber seinen Wohnsitz nicht im Gebiet dieses Mitgliedstaats gehabt hat.
Vgl. EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 C 445/08 (Wierer) , a. a. O., Rn. 55.

Rechtliche Bewertung

Diese Auslegung ist zwingend, auch im Hinblick darauf, dass der EuGH mehrfach explizit festgestellt hat, dass sogar die Auskunft der Behörden des Ausstellermitgliedsstaates, sie hätten das Bestehen der Wohnsitzvoraussetzungen nicht geprüft, nicht als taugliche Information zum Nachweis eines Wohnsitzverstoßes herangezogen werden kann (u.a. EuGH, Rechtssache Wierer, NJW 2010, 217). Es muss, soll ein Wohnsitzverstoß nachgewiesen werden, zunächst eine positive, auf diesen Umstand des naheliegenden Wohnsitzverstoßes hinweisende Rückmeldung aus dem Ausstellerstaat erfolgen.

Dies ist in den Fällen, in denen auf die Frage nach den sonstigen Aktivitäten neben der Wohnsitznahme mit „unknown / unbekannt“ geantwortet wird, wie dargelegt, in keiner Hinsicht erfolgt. Wie gezeigt, ist daher bei der Rückmeldung „unknown“ aus dem Ausstellerstaat der Fahrerlaubnis des jeweiligen Betroffenen eine Gültigkeit im deutschen Inland zu bestätigen. Ansatzpunkte für einen Wohnsitzverstoß liegen dann nicht vor. Die Entscheidung ist daher ein Meilenstein zum Thema Wohnsitz und EU-Führerschein.

Fazit

Man mag zu dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen stehen, wie man will. Das auf politischer Ebene erfolgte Bekenntnis zur Europäischen Union ist zu respektieren, auch in der Ausprägung von Art. 11 Abs. 4 und Abs. 2 der dritten Führerscheinrichtlinie und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH.

Wenn deutsche Behörden sodann eine unzulässige Rechtsauslegung vornehmen nach dem Grundsatz, dass „nicht sein kann, was nicht sein darf“, so ist dies eines Rechtsstaates unwürdig.

Richtigerweise sind daher die Verfahren, die gegen Inhaber eines gültigen EU-Führerscheins, egal wo er erworben wurde, regelmäßig einzustellen.

Umfassende Informationen zum Thema EU-Führerschein und MPU finden Sie hier.

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