MPU Anordnung ab 1,1 Promille?

Ein Sachstandsbericht

Derzeit geistern unterschiedliche Rechtsauffassungen zu der Frage durch deutsche Gerichte, ab welcher Blutalkoholkonzentration bei einem Ersttäter denn nun die MPU-Anordnung vor Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erfolgt. Dieser Beitrag soll einen Überblick über den derzeitigen Sachstand geben (Stand: April 2016).

Bis zum Jahr 2013 war es gefestigte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und auch übliche Anwendungspraxis der Führerscheinstellen, dass bei einem Ersttäter erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 die Fahrerlaubnis entzogen und – darum soll es hier gehen – dann die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet wurde, bevor es zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis kam. Diese Praxis rechtfertigte sich in dem eindeutigen Wortlaut des § 13 S. 1 Nr.2 c) der Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Dieser besagt:

Entscheidungen über die Erteilung der Fahrerlaubnis über die Anordnung von Beschränkungen oder der an, dass ein medizinisch psychologisches bei einer Konzentration 1,6 Promille oder mehr oder eine Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/Liter Atemluft geführt wurde.

Im Gegensatz zu der Formulierung des § 14 Abs. 2 Nr.1 Fahrerlaubnisverordnung, die deutlich vorsieht, dass die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Abs. 1 anzuordnen ist, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in Abs. 1 genannten Gründe durch die Fahrerlaubnisbehörde oder ein Gericht entzogen war, sah die Formulierung in § 13 Abs. 1 Nr.2  d) lediglich vor, dass eine „Entziehung“ die Voraussetzung ist. Daraus hat zuerst im Jahre 2012 der Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit seinem Urteil vom 18.6.2012 geschlussfolgert:

Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 13 Satz eins Nummer 2 d) Fahrerlaubnisordnung setzt im Sinne einer Tatbestandswirkung nur eine vorherige Entziehung der Fahrerlaubnis aus einem der Sachgründe der Buchstaben a) bis c) voraus. Bei Anknüpfung an a) (zum Beispiel Anzeichen für Alkoholmissbrauch) genügt insoweit die Feststellung, dass die frühere (verwaltungsgerichtliche oder strafgerichtliche) Entziehung wegen Alkoholmissbrauchs erfolgt ist. Eine gegebenenfalls erneute Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Gutachtenanordnung bedarf es nicht.“

Die Vorschrift des § 13 S. 1 Nr.2 c) Fahrerlaubnisverordnung war damit de facto ausgehebelt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 24. 6. 2013 (NJW 2013, 3670) sodann in gewisser Insicht – und möglicherweise ohne rechten Blick auf die Folgen – eine Bestätigung dieser Sichtweise vorgenommen:

Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne von § 13 S. 1 Nr. 2 d) Fahrerlaubnisverordnung ist – wie § 14 Abs. 2 Nr. 1 Fahrerlaubnisverordnung – auch die strafgerichtliche Entziehung nach § 69 Strafgesetzbuch.“

Im Nachgang dieser beiden Entscheidungen kam der VGH Mannheim mit seinem Beschluss vom 19.8.2013 (NJW 2014,484) erneut zu dem Ergebnis, dass eine medizinisch psychologische Begutachtung im Falle der strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt bereits bei 1,1 Promille anzuordnen ist. Diese Auffassung wurde durch einen weiteren Beschluss im Jahre 2014 erneut bestätigt (VGH Mannheim NJW 2014,1833).

Dieses blieb jedoch nicht ohne Widerspruch in der Rechtsprechung. So hat beispielsweise das Verwaltungsgericht Würzburg (Beschluss vom 21.3.2014, DAR 2014,541) die äußerst nachvollziehbare Auffassung vertreten, dass die Anordnung der medizinisch-psychologischen Begutachtung nach strafgerichtliche Entziehung bereits ab dem Wert von 1,1 Promille einen Wertungswiderspruch zu den gesetzlichen Regelbeispielen in § 13 S.1 Nummer 2 a) bis c) Fahrerlaubnisverordnung darstellen würde.

Dem konterte der VGH Mannheim wiederum unter dem 7.7. 2015 (Beck RS2015,48868):

„die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Fahrt unter Alkoholeinfluss gemäß § 69 StGB im Sinne einer Tatbestandswirkung ohne weiteres die Notwendigkeit der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auslöst. Die Vorschrift des Paragrafen 13 S. 1 Nr. 2 d) Fahrerlaubnisverordnung knpüpft explizit nicht an eine Kumulation der Gründe von Buchstaben a) bis c) für die frühere Entziehung der Fahrerlaubnis an, sondern alternativ an das Vorliegen eines dieser Gründe“

Allerdings hat der VGH Mannheim in dieser Entscheidung seine Sichtweise selbst relativiert und ausgeführt, dass eine einmalige Alkoholfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille nach dem Willen des Verordnungsgebers für sich genommen nicht die Anforderung eines medizinisch psychologischen Gutachtens auf der Grundlage des Paragrafen 13 S. 1 Nr. 2 a), zweite Alternative Fahrerlaubnisverordnung rechtfertigt. Dies folge zutreffend aus dem systematischen Zusammenhang mit der spezielleren Regelung des § 13 S. 1 Nr. 2 c) Fahrerlaubnisverordnung, wonach bei einer einmaligen Alkoholfahrt die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet wird, wenn bei der Trunkenheitsfahrt einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr nachgewiesen wurde. Diese Differenzierung basiere auf der dem aktuellen Stand der Alkoholforschung entsprechenden Wertung des Verordnungsgebers, dass Blutalkoholwerte ab 1,6 Promille auf eine außergewöhnliche „Giftfestigkeit“ hinweisen, die regelmäßig zur Unfähigkeit einer realistischen Einschätzung der eigenen Alkoholisierung und des dadurch ausgelösten Verkehrsrisikos führt. Somit sei jedenfalls ohne weiteres bei dieser Alkoholisierung die Kraftentfaltung des betroffenen Fahrzeugführers infrage gestellt. Im Gegensatz zu dem zuvor Gesagten lässt sich eine lediglich einmalige Alkoholfahrt mit einer niedrigeren Blutalkoholkonzentration daher für sich betrachtet noch insofern auslegen, dass es sich um eine Ausnahme handelt, der Betroffene also nicht grundsätzlich unwillig oder unfähig ist, den Konsum von Alkohol in unzulässig hohe Menge und das Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen. Anders verhalte es sich jedoch, wenn über die Teilnahme am Straßenverkehr über solche Umstände hinaus zusätzliche Gesichtspunkte die ernsthafte Besorgnis eines straßenverkehrsrechtlich relevanten Kontrollverlustes beim Alkoholkonsum begründen.

Nach Auffassung des VGH Mannheim sei aber erst das beizubringen selbst medizinisch-psychologischen Gutachten Aufschluss geben darüber, ob tatsächlich Alkoholmissbrauch und damit auch für die Zukunft nicht Eignung vorliegt oder nicht. Gefordert werden müssten somit zusätzliche konkrete Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch, wenn eine einmalige Alkoholfahrt die bei Einbringungspflicht hinsichtlich des MPU Gutachtens nach sich ziehen soll.“

Demgegenüber kommt der VGH Mannheim in seinem Urteil vom 17. 11. 2015 allerdings nunmehr wiederum zu einem anderen Ergebnis:

Wird einem Betroffenen die Erlaubnis durch ein Strafgericht entzogen, weil er unter Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat, bedarf es im Erteilungsverfahren, unabhängig von der im Rahmen der Trunkenheitsfahrt vorgelegenen Blutalkoholkonzentration, der Beibringung einer MPU“.

Das OVG Berlin-Brandenburg hat sich dieser Auffassung nunmehr in einer Entscheidung vom Juli 2015 angeschlossen. Es bleibt abzuwarten, ob die regional zuständigen Führerscheinstellen und Verwaltungsgerichte diese Entwicklung weiter forttragen, oder auf die ursprüngliche Sichtweise zurück besinnen, wonach auch beim erst Täter der Wert von 1,6 Promille maßgeblich bleiben soll.

Wenn letzteres nicht erfolgt, sollte zumindest eine Klarstellung in den Gesetzestext aufgenommen werden. Dann ansonsten wäre die logische Folge, dass bei JEDER strafgerichtlichen Entziehung aufgrund Alkoholfahrt, mithin ab 0,3 Promille, die Gutachtenanordung möglich ist. Dies war erkennbar nicht die Absicht des Verordnungsgebers (vgl. auch Dronkovic, zfs 4/16, 314: „äußerst unglücklicher Verlauf“).

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