Wohnsitzverstoß bei Erwerb eines EU-Führerscheins

Brandheiß ist das nach wie vor das Thema EU-Führerschein. Sehr häufig wird in letzter Zeit vor Gerichten um die Gültigkeit eines ausländischen EU-Führerscheins in Deutschland gestritten. Kein Wunder: die Führerscheinstellen ordnen geradezu inflationär die MPU vor Wiedererteilung an. Grundsätzlich ist ein solcher ausländischer Führerschein gültig, die Ungültigkeit ist die Ausnahme. Wann liegt also ein Wohnsitzverstoß bei Erwerb eines EU-Führerscheins vor?

Immer wieder geht nämlich es bei der Frage der Gültigkeit eines im EU-Ausland erworbenen Führerscheins um die Frage der Einhaltung des sogenannten Wohnsitzerfordernisses. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat in seinem Urteil vom 20.3.2018 (Aktenzeichen 11 B 17.2236) folgenden Fall zu beurteilen gehabt. Zunächst war durch einen Bescheid des Landratsamtes Landsberg am Lech dem Antrag des Betroffenen auf Erteilung einer Fahrerlaubnis kein Erfolg beschieden, da die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU) nicht erfüllt wurde. Sodann erfolgte die Ausstellung eines Führerscheins in Stettin (Polen). Am 24 7.2015 wurde eine Fahrerlaubnis der Klasse B (PKW) ausgestellt, der Führerscheinkarte war unter der laufenden Nummer 8 ein Wohnsitz in Polen eingetragen. Im April 2016 zeigte der Betroffene bei einer Verkehrskontrolle in Landsberg den polnischen Führerschein vor und gab an, er habe die polnische Fahrerlaubnis erworben, während er für seinen Arbeitgeber in Polen auf Montage gewesen sei.

Ermittlungen der Polizeiinspektion Landsberg ergaben, dass der Kläger seit dem Jahr 2009 durchgängig in Landsberg einwohnermeldeamtlich gemeldet ist. In einem an den Arbeitgeber des Klägers gerichteten „Zeugenfragebogen“ gab der dortige Personalleiter an, der Betroffene sei seit September 2011 dort beschäftigt und habe dabei noch nie in das europäische Ausland entsandt werden müssen. Auf Nachfrage des Kraftfahrt Bundesamtes teilte die Stadt Stettin mit, der polnische Führerschein sei gültig. Der Kläger habe vom 1.6.2015 bis 15.12.2015 über einen gemeldeten Wohnsitz in Polen verfügt. Beigefügt war eine auf den 1.6.2015 datierte Bestätigung der Anmeldung eines bis 15.12.2015 dauernden, vorübergehenden Aufenthalts eines Ausländers.

Das Gericht stellte für diesen Fall klar, dass von den Voraussetzungen für einen Wohnsitzverstoß ausgegangen werden kann. Zunächst wird die unbestreitbare Rechtslage dargestellt, nämlich dass nur Informationen über den Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung des Führerscheins, die vom Ausstellermitgliedstaat herrühren und als unbestreitbar eingestuft werden können, den Rahmen eröffnen, um Erkenntnisse aus dem deutschen Inland heranzuziehen.

Zwar setzt nach der Rechtsprechung das Wohnsitzerfordernis nicht zwangsläufig voraus, dass die 185-Tage-Frist im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis bzw. der Ausstellung des Führerscheins bereits verstrichen ist (diese Frage hatte das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 30.5.2013 geklärt). Lässt sich eine Person an einem Ort, an dem sie über persönliche und gegebenenfalls berufliche Bindungen verfügt in, in einer Weise nieder, die es als gesichert erscheinen lässt, dass sie dort während des Kalenderjahres an 185 Tage wohnen wird, spricht viel für die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes ab dem Beginn des Aufenthalts. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn der betreffende über keine weitere Wohnung verfügt oder wenn die Art und der Einrichtung dieser Wohnung bzw. die Art und Intensität der bestehenden persönlichen oder beruflichen Bindung eine Beendigung des Aufenthalts bereits vor dem Ablauf eines halben Jahres als praktisch ausgeschlossen erscheinen lassen.

Andererseits muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes (der zur Ungültigkeit des Führerscheins in Deuschland führen würde) aufgrund der Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein. Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf “hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen. In diesem – und nur in diesem – Fall können die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats (also Deutschland) auch inländische Umstände zur Beurteilung der Frage, ob die Wohnsitzvoraussetzung eingehalten ist, herangezogen werden. Vorliegend hatte der Betroffene wie gesagt nach Auskunft der Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats nur über einen knapp 185 Tage dauernden vorübergehenden Aufenthalt verfügt und bereits 54 Tage nach der Anmeldung den Führerschein erworben. In dieser speziellen Konstellation liegen nach Auffassung des Gerichtes vom Ausstellungsmitgliedstaat – ausnahmsweise! – herrührende unbestreitbare Informationen vor, die auf einen Wohnsitzverstoß hinweisen.

Es muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass nur dann inländische Umstände (wie zum Beispiel eine Wohnsitzmeldung oder auch eine Zeugenaussage) berücksichtigt werden können, wenn es eine Rückmeldung aus dem Ausstellermitgliedstaat gibt, die tatsächlich einen Wohnsitzverstoß nahelegt. In allen anderen Fällen ist von der Gültigkeit der Fahrerlaubnis auszugehen. Das Denkmuster: mit der Ausstellung des Führerscheins hat der Ausstellermitgliedstaat (im vorliegenden Fall: Polen) zu erkennen gegeben, dass es die Einhaltung des Wohnsitzerfordernis überprüft und bejaht hat.

Betroffene sollten sich gründlich informieren, ob und unter welchen Voraussetzungen der Erwerb eines EU-Führerscheins im Ausland möglich ist, mit dem sodann in Deutschland gefahren werden darf. Wenn alle Voraussetzungen beachtet werden, kann und darf mit einem solchen Führerschein in Deutschland gefahren werden. Eventuell eingeleitete Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) sind dann regelmäßig einzustellen, und der Betroffene darf in Deutschland weiter fahren.